Sparkassen müssen in der Balance bleiben

Drei Spannungsfelder im Retail Banking

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Grundlage der zukünftigen Leistungsfähigkeit der Sparkassen muss es sein, sich auf unterschiedlichste Wünsche und Einflüsse einzustellen. Gerade in aufgeregten Zeiten ist es wichtig, Dinge im Gleichgewicht zu halten und Entwicklungen gezielt, aber unaufgeregt voranzubringen.

Balance und Gleichgewicht als Bankstrategie

Im deutschen Retail Banking sind Balance und Gleichgewichtsgefühlt wichtig.

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In der Finanzbranche hat man mitunter den Eindruck, das Motto sei nur noch „höher – schneller – weiter“:

  • „Höher“ beschreibt dabei die Ambition, sich Ziele in Form von Superlativen zu setzen.
  • „Schneller“ ist der Wettlauf, „disruptive“ technische Entwicklungen zu verarbeiten.
  • „Weiter“ ist der ständige Aufruf, keine Entwicklung zu verpassen und sich möglichst an deren Spitze zu setzen.

Dabei geht es im Retail Banking nicht um eine Selbstoptimierung der Anbieter, sondern es geht um die Menschen. Es geht darum, wie wir unseren Kunden ihren Alltag in einer von Veränderung geprägten Lebenswelt erleichtern – und zwar so, dass sie dies wirklich merken und nicht nur Anbieter dies behaupten.

Das gelingt auf zwei Wegen, die im besten Fall auch beide Teil einer Strategie sind:

  • Erstens müssen Finanzinstitute den Menschen jeweils einzeln und ganz pragmatisch helfen. Kunden erwarten gute Beratung und freundlichen Service. Sie wollen problemlos bezahlen und ihre Bankgeschäfte so einfach wie möglich erledigen. Sie erwarten Hilfe bei der finanziellen Vorsorge und dass ihre Einlagen sicher sind. Und sie wollen sowohl den Komfort digitaler Zugangswege als auch persönliche Ansprechpartner in Reichweite – übrigens gerade auch die jüngeren Kunden.
  • Zweitens geht es darum, einen Nutzen zu schaffen, von dem alle Kunden und auch Nichtkunden profitieren. Und zwar nicht nur durch gesellschaftliches Engagement – sondern vor allem durch die eigentliche Geschäftstätigkeit.

Drei Spannungsfelder für Sparkassen

Vor ziemlich genau fünf Jahren überquerte der Amerikaner Nick Wallenda den Grand Canyon ungesichert auf einem Hochseil. Er legte die 425 Meter lange Strecke in knapp 23 Minuten zurück. Sicher hatte er Zuschauer, denen das nicht schnell genug war. Und sicher glich ein Schritt dem anderen.

Seine Spannung bezog das Ganze gerade nicht aus einem heftigen Auf und Ab. Aber genau deshalb kam er an. Und blieb unversehrt. Und wurde Erster. Entscheidend war seine Balance, sein Gleichgewicht.

Physikalisch gesehen beschreibt ein „Gleichgewicht“ einen äußerlich ruhigen, tatsächlich aber sehr aktiven Zustand. Man muss Kraft einsetzen, Entscheidungen treffen, und konzentriert vorgehen, um die Balance zu halten. Für die Sparkassen-Finanzgruppe zeigt sich dies anhand von drei Spannungsfeldern:

  1. „Sparkasse bleiben“ und „digitaler werden“.
  2. Erhalt der Ertragskraft.
  3. Balance zwischen einzel- und gesamtwirtschaftlichen Nutzen.

1. „Sparkasse bleiben“ und „digitaler werden“.

Hier halten wir die Balance, indem wir für drei Dinge gleichermaßen sorgen:

  1. Ein umfassendes Ökosystem, in dem sich die Kunden selbstverständlich bewegen und dennoch eng bei der Sparkasse bleiben,
  2. einen sorgsamen Umgang mit Daten, und
  3. die persönliche Beratung, für die wir auch weiterhin Filialen brauchen.

Das Girokonto als Basis eines Ökosystems

2018 haben die Sparkassen das „Jahr der Innovationen“ ausgerufen.

  • Wir investieren vor allem in neue Services im Zahlungsverkehr. Zur Jahresmitte starten wir z.B. das mobile Bezahlen mit dem Smartphone an der Ladenkasse. Das kontaktlose Bezahlen wird damit noch einfacher.
  • Wir erweitern das Girokonto um den elektronischen Safe, mit dem Kunden private elektronische Dokumente in den sicheren IT-Systemen der Sparkassen verwahren können.
  • Und wir machen aus der Sparkassen-Internet-Filiale eine multibankfähige Finanzplattform. Im Online-Banking können Kunden künftig auch Konten außerhalb der Sparkassen-Finanzgruppe verwalten. Schrittweise werden wir dort in den nächsten Jahren auch Angebote von Dritten integrieren.

Im Grunde investieren wir aber nicht in Technologie, sondern in die Attraktivität unserer Hauptbankverbindungen. Denn die eigentlichen Wettbewerber sind heute nicht andere Banken und auch nicht FinTechs, sondern die Internetgiganten aus den USA und aus China, die immer weitere Bereiche der Kundengewohnheiten erobern.

Datennutzung im Interesse des Kunden

Unsere Kunden erwarten, dass ihre Daten sicher sind. Sparkassen nutzen Daten deshalb nur im Interesse der Kunden und mit deren Zustimmung. Sparkassen schützen die Daten ihrer Kunden umfassend und verkaufen sie nicht an Dritte. Sparkassen gehen also mit Daten ebenso sorgsam um, wie mit dem Geld ihrer Kunden.

Ausgewogenheit der Vertriebskanäle

Zur Kundennähe gehört auch ein neu ausbalanciertes Verhältnis zwischen digitalen Zugangswegen und dem persönlichen Kontakt in der Filiale. Gerade an den Sparkassen mit ihrer Präsenz in allen Regionen Deutschlands gehen gesamtgesellschaftliche Trends nicht vorbei. Dazu zählen neue digitale Gewohnheiten ebenso wie der Rückzug wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens aus einigen Gegenden.

Die Institute vor Ort müssen sich darauf einstellen, werden dabei aber nicht übersteuern. Deshalb gibt es heute viele Alternativen: Vom Geldautomaten im Einkaufszentrum über den Bargeld-Bring-Dienst bis hin zum persönlichen Beraterkontakt in der App.

Gleichzeitig steigen die Erwartungen unserer Kunden, in der Filiale sehr gut bedient und beraten zu werden. Deshalb bauen Sparkassen ihre Filialen so um, dass sie diesen gestiegenen Erwartungen gerecht werden können. Dabei werden auch Standorte zusammengefasst. Und die Filialen werden mit neuem Leben gefüllt, indem wir sie für viele Kieze und Dörfer als echte „Nachbarschaftsfiliale“ ausbauen und so zu Treffpunkten aller Bürger machen.

2. Erhalt unserer Ertragskraft im Umfeld dauerhaft niedriger Zinsen

Die beschriebenen Innovationsschritte erfordern umfassende Investitionen und sind nur auf der Grundlage einer belastbaren betriebswirtschaftlichen Substanz möglich. Betrachtet man die Ertragslage deutscher Kreditinstitute der letzten zehn, fünfzehn Jahre, so erkennt man die der Sparkassen als ruhigen, aber stetigen Fluss.

2016 und 2017 ist der Zinsertrag – bedingt durch die Geldpolitik – deutlich eingebrochen. Und beide Male ist es den Instituten gelungen, den rückläufigen Zinsertrag durch steigende Provisionserlöse fast vollständig auszugleichen. Darin stecken in erheblichem Umfang Vertriebserfolge, etwa im Wertpapiergeschäft, auch wenn die Begeisterung der Kunden für Wertpapierberatung durch MiFID II spürbar leidet.

Zu diesen Provisionserlösen haben aber – das gehört zur Ehrlichkeit dazu – auch Preisanpassungen beigetragen. Entscheidend dabei war, dass unsere Kunden diese Veränderungen mitgetragen haben. Wer etwas bietet, bekommt auch eine angemessene Gegenleistung der Kunden.

3. Balance zwischen einzel- und gesamtwirtschaftlichen Nutzen

Der betriebswirtschaftliche Erfolg der Sparkassen hat viel mit ihrer dezentralen Struktur zu tun. Eigenverantwortlich handelnde Vorstände vor Ort können Entwicklungen sehr marktnah steuern. Und als Gruppe können wir durch gute Arbeitsteilung unsere Kräfte sinnvoll bündeln.

Es ist zudem ein Vorteil, Teil der örtlichen Gemeinschaft und flächendeckend sichtbar zu sein und so zur richtigen Balance zwischen den konkreten Leistungen einer Sparkasse für einzelne Kunden und ihrem gesamtwirtschaftlichen Nutzen zu gelangen. Unsere Arbeit für die Menschen und die Unternehmen vor Ort steht dabei immer im besonderen Fokus.

Gemeinwohlorientierung ist nicht das, was kommt, wenn man es sich betriebswirtschaftlich leisten kann. Unser gesamtes Geschäftsmodell mit seiner breiten Verankerung über alle Kundengruppen, Altersstufen, Lebenswege, Wirtschaftszweige, Städte, Kreise und Gemeinden ist strukturell auf Ausgleich angelegt.

Das soll für die Menschen sichtbar sein. Deshalb müssen Sparkassen unterscheidbar bleiben und ihre Leistungen weiterhin so ausgestalten, dass sie für die Mehrheit der Menschen passen – nicht nur für eine digitale Elite.

Finanzdienstleister müssen Balance halten

Nirgends in Europa, auch nicht in den USA:

  • werden Zahlungsdienstleistungen so professionell abgewickelt,
  • erhalten Kunden an so vielen Stellen des Landes eine so hochwertige Leistung,
  • haben Mittelständler überall eine solide Kreditversorgung und
  • sind die Preise für Finanzdienstleistungen so niedrig wie in Deutschland.

Deutschland ist nicht overbanked. Deutschland hat eine hohe Wettbewerbsintensität – und das ist gut für unsere Kunden. Wer hierin ein Problem sieht, muss seine eigenen Strukturen und Geschäftspolitik überprüfen.

Finanzdienstleister müssen dazu extreme Einflüsse auffangen und dabei eine gute Balance herstellen – für sich selbst und für ihre Kunden.

In einer Zeit, in der uns von allen Seiten der Umbruch, der Wandel, der Veränderungsdruck anspringt, mag es langweilig klingen, sich auf die subtile Kunst des Gleichgewichthaltens zu konzentrieren. Auch medial sind „Disruptionen“ viel spannender als Evolutionen. Und doch halte ich diese Strategie für die erfolgreichere.

Für die Sparkassen ist „Digitaler werden und Sparkasse bleiben“ kein Widerspruch. Beides hat denselben Kern, die Nähe zu unseren Kunden. Diese Nähe ist heute nur vielfältiger als früher. Grundlage unserer Strategie sind daher nicht vermutete Trends, sondern der reale Bedarf der Menschen in seiner ganzen Vielfalt.

Über den Autor

Helmut Schleweis

Helmut Schleweis ist seit 1.1.2018 Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes. Zuvor war der gelernte Bankkaufmann und Absolvent der Deutschen Sparkassenakademie Vorsitzender des Vorstands der Sparkasse Heidelberg.

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