Welche strukturellen Veränderungen prägen die Bankenbranche in Deutschland? Für eine nachhaltig erfolgreiche Positionierung im (internationalen) Wettbewerb ist die Identifikation relevanter Treiber sowie eine systematische Auseinandersetzung mit diesen unabdingbar.
Kürzer werdende Entwicklungszyklen, internationale Verflechtungen und Interdependenzen sowie viele andere Faktoren bedingen eine enorme Dynamik hinsichtlich der Veränderung Markt- und wettbewerblicher Rahmenbedingungen. Eine kontinuierliche und vor allem systematische Analyse Dieser stellt damit eine wesentliche Grundlage und Voraussetzung für die frühzeitige Identifikation von Entwicklungstendenzen und Veränderungsprozessen dar.
Die Kenntnis etwaiger Veränderungen wiederum ist Voraussetzung dafür, eine systematische Auseinandersetzung mit diesen vornehmen zu können sowie relevante Treiber zu identifizieren. Nur auf dieser Grundlage kann eine Wissens-, Diskussions- und Entscheidungsgrundlage für die Ableitung entsprechender strategischer und operativer Maßnahmen geschaffen werden.
Strukturelle Veränderungen und Entwicklungstendenzen
Bereits ein oberflächlicher Blick auf regelmäßig in Veröffentlichungen der Deutschen Bundesbank erscheinende Datensätze verdeutlicht das Ausmaß struktureller Veränderungen der deutschen Bankenbranche. Bezugnehmend auf aggregierte Struktur- und Jahresabschlusszahlen der Finanzdienstleistungsbranche ist zu konstatieren, dass diese geprägt ist von anhaltenden Profitabilitätsproblemen, Konsolidierungstendenzen und organisationalen Restrukturierungen: Die Anzahl der Kreditinstitute in Deutschland ist, ausgehend von über 3.700 Instituten im Jahr 1995, um mehr als 50 Prozent auf rund 1.700 Institute zurückgegangen. Im gleichen Zeitraum wurde die Anzahl der betriebenen Filialen von knapp 70.000 auf unter 30.000 reduziert und weit mehr als 150.000 Mitarbeiter freigesetzt.
Zusätzlich zu diesen substanziellen Veränderungen auf struktureller Ebene ist ein anhaltender Rückgang der Profitabilität, gemessen am RoE, zu erkennen. Während im Jahr 1995 der branchenweite Durchschnitt noch bei rund 14 Prozent lag, ist dieser auf nur noch knapp über 1 Prozent im Jahr 2019 gesunken. Es ist anzumerken, dass bei detaillierter Analyse teilweise erhebliche Unterschiede hinsichtlich des Ausmaßes und der Volatilität der Entwicklungen zwischen den jeweiligen Institutsgruppen festgestellt werden können, was auf Unterschiede in der strategischen Positionierung und damit unterschiedliche Ertrags- und Kostenstrukturen zurückzuführen ist. Dennoch verdeutlichen die aggregierten Daten die branchenweiten strukturellen Entwicklungs- und Veränderungsprozesse zutreffend.
Existenzbedrohende Krise?
Sind diese Entwicklungstendenzen mit einer existenzbedrohenden Krise der deutsche Bankenbranche gleichzusetzen? Es gibt auch Daten, die anderes vermitteln: Alle drei Institutsgruppen innerhalb der Universalbanken konnten in einem langfristigen Trend seit 1995, jeweils zusammengefasst und gemessen an der Bilanzsumme als Proxy, geschäftliche Volumina ausbauen, einige auch die erwirtschafteten Jahresüberschüsse vor Steuern. Zinsüberschüsse bieten absolut betrachtet (noch) stabile Erträge (wobei ein Blick auf die Zinsspanne weniger vielversprechend aussieht), Provisionsüberschüsse entwickeln sich überwiegend erfolgsversprechend und der Handelsbestand – welcher fast ausschließlich für die Säule der privaten Geschäftsbanken von Bedeutung ist – wirft seit der Finanzkrise durchgehend Nettoerträge ab. Per Saldo bedeutet das (absolut betrachtet) auch für die Entwicklung der operativen Erträge ein nicht allzu düsteres Gesamtbild. Dennoch bleibt, unterm Strich, ein erheblicher Rückgang der Profitabilität und insgesamt ein enormer Veränderungsdruck, mit dem die Bankenbranche in Deutschland konfrontiert ist.
Relevante Einflussfaktoren
Entscheidend ist, auf Grundlage kontinuierlicher und systematischer Markt- und Wettbewerbsanalysen, die Entwicklungstendenzen und Veränderungsprozesse möglichst frühzeitig zu erkennen und dann, im Rahmen einer systematischen Auseinandersetzung mit diesen, relevante Treiber zu identifizieren. Nur auf dieser Grundlage kann eine Wissens-, Diskussions- und Entscheidungsgrundlage für die Ableitung entsprechender effektiver und effizienter strategischer und operativer Maßnahmen geschaffen werden, welche wiederum die Basis für die Adressierung von Veränderungsprozessen sowie darüberhinausgehend für eine nachhaltig erfolgreiche Positionierung in einem internationalen Wettbewerbsumfeld darstellen.
Basierend auf einer Vielzahl von Studien sowie unter Berücksichtigung der aktuellen Entwicklungen lassen sich insbesondere sechs wesentliche Treiber identifizieren:
- Anhaltend expansive Geldpolitik,
- Regulatorische Veränderungen und Verschärfungen,
- Digitalisierung,
- Globalisierung,
- (Sozio-)Demographische Veränderungen sowie
- Hinzukommend die COVID-19 Pandemie.
Systematische Auseinandersetzung: Wirkungsweisen und Interdependenzen
Es ist von entscheidender Bedeutung, potenzielle Wirkungsweisen etwaiger Einflussfaktoren zu verstehen, zu hinterfragen und letztendlich Implikationen für die strategische Positionierung und operative Maßnahmen abzuleiten. Gleichzeitig ist sich jedoch auch bewusst zu machen, dass es sich bei den identifizierten Themenclustern nicht um trennscharfe, isoliert voneinander koexistierende Einflussfaktoren handelt, sondern vielmehr Schnittmengen und Interdependenzen bestehen. Eine ganzheitliche Betrachtungsweise, im Rahmen derer auch die ergebnisoffene Arbeit mit Business Cases sowie Szenarioanalysen Anwendung findet, sollte ein wichtiges Element im Kontext unternehmerischer Entscheidungsfindung darstellen.
Beispielsweise stehen (potenzielle) regulatorische Veränderungen im Kontext politischer Initiativen, die auf technologische Entwicklungen und Digitalisierungstendenzen zurückzuführen sind. Etwaige politische Initiativen (z. B. FinTechRat) oder Diskussionen (z. B. Regulatory Sandboxes) können Entwicklungstendenzen auslösen, die zu relevanten Veränderungen Markt- und wettbewerblicher Rahmenbedingungen mit entsprechendem Handlungsdruck führen. Gleiches gilt hinsichtlich potenzieller regulatorischer Verschärfungen als Reaktion auf das festzustellende veränderte Verhalten bei der Fristentransformation, welches im Wesentlichen mit der immer länger werdenden „Phase“ einer stark expansiven Geldpolitik zusammenhängen dürfte.
Bedeutende Interdependenzen mit Implikationen für vertriebliche Potenziale lassen sich beispielsweise aus den Treibern Digitalisierung und soziodemographische Veränderungen ableiten. So verändern sich mit der Altersstruktur und den technologischen Entwicklungen nicht nur das Nutzungsverhalten und die Erwartungshaltung von Privat- und Firmenkunden (z. B. hinsichtlich der Vertriebs- und Kommunikationskanäle oder des Produkt- und Dienstleistungsportfolios). Zusätzlich sind deutliche Veränderungen in der Vermögensstruktur zu erwarten, deren potenzielle Auswirkung auf das Nachfrageverhalten im Hinblick auf das aktuelle Produkt- und Dienstleistungsportfolio analysiert und antizipiert werden sollte. Dass es in diesem Kontext wiederum enorme Potenziale für die Entwicklung und Implementierung zielgruppenspezifischer Marketing- und Vertriebskonzepte gibt, ist eine logische Konsequenz; Wobei auch hier, aufgrund technologischer Veränderungen (z. B. Big Data, KI) neue methodische Ansätze für entsprechende Analysezwecke entwickelt werden können und sollten.
Die Vielschichtigkeit und Komplexität der hier nur oberflächlich und exemplarisch aufgezeigten Wirkungsmechanismen und Interdependenzen sowie deren potenziellen Implikationen für strategische und operative Entscheidungsfindungen verdeutlichen die zentrale Bedeutung ganzheitlicher, systematischer und analytischer Herangehensweisen. Business Cases und Szenarioanalysen sollten nicht nur Anwendung finden, sondern im Hinblick auf die Motivation, unternehmerische Potenziale und Risiken zu erkennen, konsequent und über alle Geschäftsbereiche und Prozesslandschaften zu Ende gedacht werden.
Fazit: Identifikation der Treiber von Veränderung
Im Kontext substanzieller Veränderungsprozesse und dynamischer Herausforderungen ist es von entscheidender Bedeutung, entsprechende Treiber zu identifizieren und zu verstehen. Eine tiefgreifende, systematische und analytische Auseinandersetzung, sowohl im praktischen als auch akademischen Kontext, sind dabei eine wesentliche Voraussetzung dafür, die jeweiligen resultierenden Wirkungsmechanismen, Interdependenzen und Komplexitäten zu verstehen. Dieses Verständnis wiederum schafft Wissens-, Diskussions- und Entscheidungsgrundlagen für die Ableitung effektiver und effizienter strategischer und operativer Maßnahmen.
Letztlich ist auch anzumerken, dass das Interesse daran nicht nur mikroökonomischer und damit institutsspezifischer, sondern auch makroökonomischer und damit gesamtgesellschaftlicher Natur ist: Insbesondere für die deutsche Volkswirtschaft, die in Struktur und Aufbau nicht nur stark exportorientiert ist, sondern in Ihrem Verhältnis zu Kreditinstituten auch traditionell durch das sog. Hausbankprinzip geprägt ist, ist ein starker, im internationalen Wettbewerb nachhaltig erfolgreich positionierter Bankensektor von herausragender Bedeutung.