Die Europäische Kommission hat das Ziel ausgegeben, Europa zum Vorreiter für Nachhaltigkeit zu machen. Damit wird Sustainable Finance ein wichtiger Zukunftsaspekt für Kreditinstitute. Die damit einhergehende Regulierung birgt zahlreiche Herausforderungen.
Derzeit vergeht kaum ein Tag, an dem in den Medien nicht über nachhaltige Produkte und Konzepte von Finanzmarktteilnehmern berichtet wird. Insbesondere der Klimawandel verändert das Anlageverhalten von Investoren. Ob mit einer Geldanlage nicht nur Rendite erzielt wird, sondern sie auch einen Beitrag zu einer nachhaltigen ökologischen Wirtschaftsentwicklung leistet, spielt bei Anlageentscheidungen von institutionellen Investoren und Privatanlegern eine immer größere Rolle.
EU will nachhaltigen Finanzmarkt
Eine neue Dynamik erfährt diese Entwicklung dadurch, dass die EU-Kommission einen aufsichtsrechtlichen Rahmen für nachhaltige Geldanlagen und Finanzierungen schaffen will. Das rechtspolitische Ziel ist ambitioniert: Es geht um die Indienstnahme der gesamten Finanzbranche für die Erreichung ökologischer und sozialer Nachhaltigkeitsziele – allen voran der Bekämpfung des Klimawandels. Die Kreditwirtschaft ist dabei neben der Versicherungswirtschaft und den Asset Managern einer der drei Key Player.
Das Besondere der Sustainable Finance-Regulierung besteht darin, dass sie die Kreditinstitute als Ganzes betreffen wird. Während Regulierungsvorhaben der EU bislang auf bestimmte Bereiche des Bankgeschäfts bzw. der Bankorganisation abzielten (MiFID II -> Wertpapiervertrieb, EMiR/MiFIR -> Derivategeschäft, Prospekt-Verordnung -> Emissionsgeschäft; CRR/CRD -> Treasury und IKS), wirkt sich das Maßnahmenpaket des EU-Aktionsplans auf sämtliche Bereiche der Wertschöpfungskette einer Bank aus. Dies stellt die Kreditwirtschaft vor große Herausforderungen.
Worum geht es bei der Sustainable Finance-Regulierung genau?
Die Europäische Kommission ist fest entschlossen, eine globale Führungsrolle im Kampf gegen den Klimawandel zu übernehmen. Europa soll bis zum Jahr 2050 ein klimaneutraler Kontinent sein. Um dieses Ziel zu erreichen, will die EU auch die Finanzbranche in die Pflicht nehmen. Die Bedeutung der Finanzbranche für das Thema Nachhaltigkeit wird auch im europäischen Green Deal hervorgehoben, den die EU-Kommission im Dezember 2019 vorgestellt hat und der die Grundlage für die Wachstumsstrategie hin zu einem klimaneutralen Europa bildet.
Die Aufgabe, um die es geht, ist gewaltig: Damit das Zwei-Grad-Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens erreicht wird, müssen in der Europäischen Union jährlich zwischen EUR 180 und 270 Mrd. in ein nachhaltiges Wachstum investiert werden (Sustainable Finance). Dieses Investitionsvolumen will die Europäische Kommission durch eine beispiellose Umleitung von Kapitalströmen erreichen. Hierfür will die EU einen aufsichtsrechtlichen Rahmen vorgeben. Nachhaltigkeit ist in den nächsten Jahren deshalb das zentrale Thema der europäischen Finanzmarktregulierung. Gleichzeitig sollen Banken, Versicherungen, Asset Manager und Ratingagenturen zukünftig Nachhaltigkeitsrisiken als wesentliche Risikotreiber berücksichtigen.
Die EU-Kommission hat bereits im März 2018 mit ihrem Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums eine Tool-Box für regulatorische Maßnahmen zusammengestellt. Diese Maßnahmen werden nun konsequent abgearbeitet. Nach derzeitiger Planung sollen bereits Anfang 2021 die ersten Umsetzungspakete EU-weit in Kraft treten.
Grundlage: Nachhaltigkeit wird definiert
Dem europäischen Gesetzgeber ist bewusst, dass Nachhaltigkeit ein weiter Begriff ist. Der Aktionsplan sieht daher vor, eine EU-weite Klassifizierung (Taxonomie) zu schaffen, die sich zunächst auf die ökologische Nachhaltigkeit konzentriert. Die von der EU-Kommission eingesetzte Technical Expert Group on Sustainable Finance (TEG) hat hierzu im Juni 2019 einen ersten über 400 Seiten langen Bericht vorgelegt, der Vorschläge für eine Taxonomie-Methodik enthält. Die Nachhaltigkeit einer Wirtschaftstätigkeit soll dadurch messbar werden.
Die Einzelheiten sind – wenig überraschend – heftig umstritten. Am 17. Dezember 2019 wurde nunmehr – in einem ersten Schritt – eine politische Einigung zwischen Rat und Parlament für einen Text zu einer Taxonomie-Verordnung erzielt.
Daneben ist der Begriff der Nachhaltigkeit auch in der Offenlegungs-Verordnung (VO (EU) 2019/2088) von zentraler Bedeutung, die am 9. Dezember 2019 im EU-Amtsblatt verkündet worden ist. Dadurch werden Finanzmarktteilnehmer und Finanzberater zu größerer Transparenz im Bereich der Nachhaltigkeit verpflichtet. Die Offenlegungs-VO beschränkt sich im Unterschied zur Taxonomie-VO nicht nur auf die ökologische Nachhaltigkeit, sondern umfasst auch weitere, insbesondere soziale Aspekte der Nachhaltigkeit.
Auch durch die Regulierung von CO2-Benchmarks will die EU-Kommission einen Standard etablieren. Die gegenwärtig verfügbaren Indizes für CO2-arme Investitionen verfolgen unterschiedliche Ziele. Während einige Referenzwerte darauf abzielen, den CO2-Fußabdruck eines Standardanlageportfolios (lediglich) zu verringern, verfolgen andere das Ziel, Finanzprodukte zu bestimmen, die (aktiv) dazu beitragen, das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Um einem Wildwuchs in den Mitgliedstaaten entgegenzuwirken, will die EU-Kommission einheitliche Standards für Methodik und Transparenz von CO2-Benchmarks schaffen. Die Benchmark-VO (VO (EU) 2016/1011) wurde entsprechend durch die am 9. Dezember im EU-Amtsblatt verkündete CO2-Benchmark-VO (VO (EU) 2019/2089) angepasst.
Um nachhaltiges Investieren zusätzlich zu vereinfachen, sollen zudem besondere Kennzeichen für nachhaltige Produkte eingeführt werden. Als Prototyp soll ein europaweiter Standard für sogenannte Grüne Anleihen (Green Bonds) dienen. Zu diesem Zweck hat die TEG zehn Empfehlungen und Schlussfolgerungen für eine EU Green Bond Standard vorgelegt.
Vermögensanlage: Nachhaltige Produkte sollen die Vermögensanlage prägen
Sobald geklärt worden ist, welche Finanzprodukte als nachhaltig anzusehen sind, geht es darum, Kapital entsprechend umzuleiten. Der Aktionsplan sieht vor, dass Berater und Vermögensverwalter ihre Kunden fragen müssen, ob sie nachhaltige Anlagen präferieren. Bejaht ein Kunde dies, ist dies bei jeder Anlageentscheidung oder Empfehlung zu berücksichtigen. Regulatorisch umgesetzt wird der Ansatz über eine Änderung der Level 2-Verordnungen zur MiFID II und zur IDD.
Risikomanagement: Nachhaltigkeitsrisiken müssen berücksichtigt werden
Der Aktionsplan fordert, dass im Risikomanagement von Kreditinstituten, Versicherungen, Kapitalverwaltungsgesellschaften und Ratingagenturen alle Risiken berücksichtigt werden, die sich aus dem Klimawandel, der Ressourcenknappheit, der Umweltzerstörung und aus sozialen Problemen (ESG-Risiken) ergeben. Die Einbeziehung von Nachhaltigkeitserwägungen nimmt deshalb auch im Bankaufsichtsrecht Fahrt auf:
- Die EBA hat am 6. Dezember 2019 einen Aktionsplan für nachhaltige Finanzierung vorgelegt, der das Maßnahmenprogramm der EBA für die kommenden Jahre bis 2025 enthält.
- Auf nationaler Ebene hat die BaFin kurz vor Jahresende am 20. Dezember 2019 ihr Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken veröffentlicht. Nach Ansicht der BaFin ist innerhalb der Unternehmen eine „top down“– Befassung – d.h. vom Vorstand bis in die Abteilungen – und damit eine strategische Befassung der Geschäftsleitung mit Nachhaltigkeitsrisiken innerhalb der Geschäfts- und Risikostrategie erforderlich. Die Institute sollen ein Verständnis für signifikante Nachhaltigkeitsrisiken und deren Charakteristika sowie deren mögliche Auswirkungen auf das eigene Geschäft entwickeln. Zu diesem Zweck sollen die Institute ganzheitlich prüfen, ob und wie Nachhaltigkeitsrisiken in bestehende Organisationsrichtlinien und Prozesse (u.a. bei der Kreditvergabe, sowie im Rahmen der Risikosteuerung und -controlling) integriert werden können. Dies bedeutet, dass alle wesentlichen Risiken identifiziert, bewertet, überwacht, gesteuert sowie kommuniziert werden müssen und Nachhaltigkeitsrisiken dabei als Faktoren auf die bekannten Risikoarten einwirken.
Zwar formuliert das BaFin-Merkblatt zunächst nur „weiche“ Anforderungen, die den von der BaFin beaufsichtigten Unternehmen aus der Finanzwirtschaft als Orientierungshilfe im Sinne einer Good Practice bei der Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken in der Risikobetrachtung dienen soll. Es ist allerdings zu erwarten, dass die Empfehlungen des BaFin-Merkblattes in den laufenden europäischen Regulatorik-Prozess einfließen werden.
Transparenz: Fragen der Nachhaltigkeit sollen in Unternehmensberichten transparent werden
Die EU-Kommission will auch die Transparenz über Nachhaltigkeit in der Unternehmensberichterstattung und -führung fördern. Sie hat zu diesem Zweck Leitlinien zur klimabezogenen Berichterstattung im Rahmen der Berichterstattung über nichtfinanzielle Informationen veröffentlicht. Danach soll ein Unternehmen über klimabedingte Chancen und Risiken informieren, die sein Geschäftsmodell beeinflussen können. Die Leitlinien sind bisher unverbindlich und sollen keine rechtlichen Verpflichtungen schaffen.
Allerdings sieht der finale Kompromiss zur Taxonomie-VO inzwischen auch verbindliche Publizitätspflichten für bestimmte Unternehmen vor. Zudem will die EU-Kommission weiter untersuchen, ob es durch den Kapitalmarkt einen unangemessenen Druck auf Unternehmen gibt, sich auf kurzfristige Rendite zu konzentrieren und dabei die Nachhaltigkeitsfaktoren außer Acht zu lassen. Am 18. Dezember haben EBA, ESMA und EIOPA hierzu ihre Berichte vorgelegt, die eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen enthalten und zu einer weiteren Beobachtung raten.
Ausblick: Das Tempo erhöht sich
Die EU-Kommission hat eine Vielzahl von regulatorischen Projekten angestoßen, um ihr Ziel eines nachhaltigen Wachstums zu erreichen. Auch die EZB und nationalen Notenbanken denken bereits darüber nach, wie sie die Nachhaltigkeit mit ihren Mitteln weiter fördern kann. Kürzlich veröffentlichte das Network for Greening the Financial System (NFGS), dem seit 2017 Zentralbanken und Aufsichtsbehörden angehören, einen ersten Bericht mit Handlungsempfehlungen für Aufsichtsbehörden.
Auf nationaler Ebene ist der Sustainable Finance-Beirat geschaffen worden, der die Bundesregierung bei der Erarbeitung einer entsprechenden Strategie beraten und ebenfalls konkrete Handlungsempfehlungen entwickeln soll. Vor dem Hintergrund der rasch voranschreitenden globalen Erderwärmung erscheint dieser Prozess politisch unumkehrbar.
Fazit: Sustainable Finance ganzheitlich betrachten
Angesichts des umfassenden Regulierungsansatzes der EU werden Banken und Sparkassen das Thema „Sustainable Finance“ nicht mehr nur in einzelnen Silos behandeln können, sondern sollten es ganzheitlich betrachten und auf Chancen und Risiken für das eigene Geschäftsmodell hin bewerten. Nur so werden sich die erforderlichen Schnittstellen zwischen den einzelnen Geschäftsbereichen und den Controlling-Funktionen (Risk, Compliance, Revision) bilden lassen. In jedem Fall gilt es, mit Unterstützung der kreditwirtschaftlichen Verbände die regulatorische Entwicklung in 2020 konsequent auf den Radar zu nehmen.
Dr. Nils Ipsen, LL.M. ist Koautor des Beitrags. Der Rechtsanwalt und Partner bei lindenpartners vertritt Kreditinstitute in verwaltungs- und europarechtlichen (Gerichts-)Verfahren und berät (öffentliche) Unternehmen in (umwelt-)rechtlichen Fragen. Ein aktueller Fokus liegt auf dem Thema Sustainable Finance.