Hierarchiefreie Kommunikation ist nichts Neues. Viele Banken haben bereits vor Jahren ihre Karriere- und Titel-Strukturen überarbeitet. Im Zuge von Fusionsprozessen können dabei jedoch unterschiedliche Kulturen aufeinanderprallen.
Zufrieden lehnte sich Sabine Zeisig in ihrem komfortablen Bürosessel zurück. Diesmal hatte sie es den alten Knackern aber so richtig gezeigt. All diesen Direktoren, Kommerzialräten, Professoren, Disponenten und Handlungsbevollmächtigten, die sich im Lichte ihrer imageträchtigen Namenszusätze sonnten. Die neue Bank, die aus dem aufsehenerregenden Merger zweier alteingesessener Kreditinstitute entstehen sollte, brauchte keine Titel mehr. Denn Titelsucht war gestern und Frau Magistra Zeisig war nicht von gestern.
Neuausrichtung der Unternehmenskultur
Als HR-Verantwortliche war sie die treibende Kraft hinter der Neuausrichtung der Unternehmenskultur, die so ein Zusammenschluss nun ganz automatisch mit sich brachte.
Na gut. Eigentlich verantwortete sie nur einen kleinen, nicht ganz so wichtigen Teil der Neupositionierung der beiden Institute. Immerhin, dass mit dem Wegfall der Titel war ein ganz wichtiger Baustein der Modernisierung der Unternehmenskultur (Stichwort: flache Hierarchie!), und da ließ sie auch nicht mit sich handeln.
Blöd nur, dass sie für eine österreichischen Bank tätig war.
Kennen Sie folgenden Scherz? Treffen sich zwei Personen an der Bar. Sagt der eine: „Angenehm, Schmidt.“ Sagt der andere: „Ebenfalls angenehm, Dr. Huber!“ „Ist ja nett. Arzt oder Österreicher?“
Vision von der titelfreien Bank
Doch zurück zu Frau Mag.a Zeisig. Sie hatte eine glasklare Vision von der strahlenden Zukunft der fusionierten Bank. In dieser Zukunft gab es keine Türschilder mit endlos langen Berufs- oder Funktionstitel oder gar akademischen Graden mehr. Nur noch Vorname und Nachname. Das würde doch gewiss reichen.
Moderne Manager würden sich nicht auf eine solche Oberflächlichkeit reduzieren lassen. Da war sich Sabine Zeisig sicher. Besser noch: sie wusste sich damit auf einer Linie mit Amazon, Google und Co. Die hatten auch eine flache Hierarchie und konnten gerne auf Titel-Schnickschnack verzichten. Von wem sonst sollte man lernen, wenn nicht von den Besten?
Zukunft von Visitenkarten
Aber wie würden dann die Visitenkarten dann aussehen? Sie erinnerte sich an das inspirierende Gespräch mit ihrem Compliance-Officer, der sie vor den Gefahren dieser papierenen Trojanern warnte. Würden diese nämlich an Betriebsfremde ausgegeben, wäre einem Identitätsdiebstahl Tür und Tor geöffnet. Allerdings wurde der mutige Ansatz zur völligen Abschaffung der Visitenkarten vom Vorstand nur teilweise mitgetragen, was schlussendlich zu dem Kompromiss führte, dass man den Status Quo (und damit die Visitenkarten) beibehielt.
Doch kleinere Rückschläge hatte Sabine Zeisig eingeplant. Rom wurde ja auch nicht an einem Tag erbaut. Sagt man.
Aber wurde Rom an einem Tag zerstört? Wie durch das Feuer zu Zeiten des Kaisers Nero, der dieses angeblich besungen haben soll?
Frau Mag.a Zeisigs persönlicher Nero erschien wie Mephisto in der Gestalt des aufgebrachten Betriebsratsvorsitzenden, der sichtlich erbost ihrem Konzept der titellosen Bank einen Abgesang erteilte. Still und heimlich hatte sich – ganz unfein hinter Frau Zeisigs Rücken – eine Allianz der Titelträger mit dem mächtigen Personalvertreter gebildet. Eine Koalition, die sie so nicht hatte kommen sehen. Nicht zuletzt deshalb, weil eine dermaßen ungetrübte Einigkeit zwischen Belegschaft, Top-Management und Gewerkschaft ziemlich unüblich war.
Wie gemein!
Aus alt mach Neu
Es stünde selbstverständlich außer Frage, dass die Bank nach dem Merger eine moderne, flache Hierarchie brauchte, in welcher tradiertes Imponiergehabe keinen Platz mehr haben würden, gestand der Gewerkschafter gutmütig ein. Aber so ganz ohne Titel, was wäre das für eine Bank? Wie würde man denn da im internationalen Umfeld reüssieren können? Was, wenn man die althergebrachten und aus der Mode gekommenen Titel abschaffen und stattdessen die hippe, moderne Struktur angelsächsischer Kreditinstitute übernehmen würde?
Das wäre doch was! Aus Disponenten würden Directors, aus den Abteilungsdirektoren Senior Directors und die Direktoren wären dann Managing Directors (wobei die Titel ab dieser Ebene sowieso von Anfang an außer Frage standen). Frau Zeisig wiegte ob dieses Kompromisses anerkennend ihr weises Haupt.
Ja, so könnte man das schon machen, ohne dass jemand das Gesicht verlieren würde. War das ein Lächeln auf den Lippen der HR-Managerin?
Blieb nur noch die Frage offen, was mit all den anderen Titeln passieren sollte, welche die Bank noch so im Laufe der Zeit vergeben hatte.
Doch auch hier wusste der Herr Direktor Betriebsratsvorsitzende Abhilfe. „Die werden alle Associates!“
Es zahlt sich eben aus, eine Meinung zu haben und zu dieser zu stehen, dachte Sabine Zeisig, der für ihre Verdienste um den Merger der Titel „Managing Director“ verliehen wurde.