Revolutionen sollten einen grundlegenden und nachhaltigen strukturellen Wandel in kurzer Zeit bewirken. Für viele Revolutionäre galt der Kapitalismus als Ziel eines solchen Wandels. Doch Revoluzzer von heute haben wenig mit den Che Guevaras von gestern gemeinsam.
Markus stand vor dem Spiegel in der Eingangshalle seiner Villa und betrachtete wohlgefällig sein neues Outfit. Es war gar nicht so einfach, einen olivgrünen Anzug aufzutreiben, doch Johanna – seine Einkaufsberaterin – hatte es geschafft. Trotzig reckte er die Faust seiner Rechten in die Luft und nickte zustimmend. Ja, dieser Anzug war eines wahren Revolutionärs würdig.
Tatsächlich war es an der Zeit, die Gesellschaft von Grund auf zu verändern. Die Reichen besaßen viel zu viel und die Armen nichts. So konnte das nicht weitergehen. Markus fühlte sich bereit, seinen Teil zur Revolution beizutragen.
Seit Generationen im Bankgeschäft
Nachdem sich seine Familie seit Generationen im Bankgeschäft betätigte, kannte er auch die Hintergründe dieser Ungleichheit. Doch das hatte nun ein Ende. Er wollte es nicht mit den Rothschilds, Oppenheimers und Warburgs gleichtun, sondern den Dantons, Garibaldis und Che Guevaras! Den Revolutionären, die die Welt veränderten.
„Viva la Revolution!“, zischte er mit zusammengepressten Lippen, denn die Bourgeoisie war wachsam und lauerte überall. Noch musste er aus dem Untergrund agieren und seine Ambitionen geheim halten. Doch nicht mehr lange und er würde die Speerspitze der Revolution sein.
Jawoll!
Gleiches Einkommen für alle
Würde er eine Bank leiten, so wären Kredite umsonst und die Sparzinsen für die Mittellosen würden 10 Prozent betragen. Der Staat wäre natürlich verpflichtet, die Kosten für diese Zinsspanne seiner Bank zu ersetzen. Und ja, es wäre auch eine gute Idee, dem Turbo-Kapitalismus den Gar auszumachen und die Banken im Sinne des Gemeinwohls zu verstaatlichen.
Er würde die Guthaben der Reichen konfiszieren und die Schulden der Arbeiterklasse damit begleichen. Was für eine Zukunft. Gleiches Recht für alle, gleiches Einkommen für alle. Gleiche Villen für alle.
Natürlich würden die Revolutionäre ein kleines Entgelt dafür bekommen, dass sie Leib und Leben riskierten, um unsere Gesellschaft von Grund auf zu erneuern. Markus dachte dabei an einen mittleren sechsstelligen Betrag per anno, der aber bitte in Diamanten auszubezahlen wäre. Oder Bitcoins, da war er sich noch nicht ganz sicher. Euro oder Dollar waren ihm nicht sicher genug, immerhin wusste er ja, was er vorhatte…
Che Guevara 2.0
Aber reiche Revolutionäre?
Was soll´s, das war schon immer so. Der Franzose Danton wurde ja auch von ausländischen Aristokraten finanziert, Garibaldi war stolzer Inselbesitzer (okay, es gehörte ihm nur die Hälfte von Caprera) und als Fidel Castro starb, hatte er ein Vermögen von 775 Millionen Euro angehäuft. Das Geschäft mit der Revolution läuft!
Und bloß kein reaktionärer Neid jetzt, wir wollen ja nicht kleinlich werden.
Markus hatte penibel seine Hausaufgaben gemacht. Er wusste, sein Kampfname würde „Che 2.0“ sein oder irgendwas mit „Fidel“. Als sein Markenzeichen hatte er eine rote Schiebermütze auserkoren – oder eine grüne, man wird sehen, woher der Wind weht!
Leider war Markus auch klar, dass die Zeit des Kampfes eine Periode des Verzichtes sein würde. Das Anwesen der Familie in Südfrankreich würde er in nächster Zukunft wohl meiden, ebenso den Firmenjet, man muss der Presse ja keine Munition liefern. Denn die bürgerlichen Medien würden sich auf solche Nebensächlichkeiten stürzen.
Vielleicht könnte man diese widerborstigen Journalisten durch ein revolutionäres Gesetz an die Leine nehmen? Wieder konnte er im Spiegel beobachten, wie seine rechte Faust fast automatisch in die Luft fuhr, um seine finale Entschlossenheit zu dokumentieren.
Viva la Revolution
„Viva la Revolution“, zischte Markus in perfektem Spanisch – auch wenn dies die einzigen Worte waren, die er in dieser Sprache kannte. Nein, Korrektur, er kannte auch noch „Vamos a la Playa“ aus den Clubnächten auf Ibiza – aber was war an einem Strand schon Revolutionäres?
Er blickte auf eine seiner beiden Rolex, die er jeden Tag trug (eine Hommage an Fidel Castro) und wusste: es war Zeit!
Und tatsächlich hörte er auch schon seine Mutter aus dem Salon rufen: „Markus, jetzt musst du aber in die Schule. Das mündliche Abi heute darfst du keinesfalls versäumen. Papa hat seinen Fahrer mit dem Bentley geschickt, damit du ja rechtzeitig ankommst!“
Säuerlich lächelte Markus in den Spiegel und sah sich wieder bestätigt: sein derzeitiges Leben war die Hölle, aber bald würde alles besser werden.
Vorwärts, Genosse.