Immersive Technologien sind auf dem Vormarsch. Auch für Banken und Finanzdienstleister bieten die Verbindung aus Web3, Spatial Computing und Metaverse relevantes Potenzial. Unterstützt durch KI ergeben sich vielseitige Anwendungsfälle.

Immersive Technologien für Banken und Finanzdienstleister

Immersive Technologien, Web3, Spatial Computing und das Metaverse bieten Finanzdienstleistern zahlreiche Möglichkeiten.

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Auf die Frage, mit welchen Apps und Plattformen 12 bis 18-Jährige heute online ihre Zeit verbringen, fallen sofort Namen wie TikTok, YouTube oder Netflix. Roblox wird hingegen eher selten erwähnt. Dabei hält sich die befragte Altersgruppe von Nutzenden in genau dieser virtuellen Spielewelt mehr als 4 Stunden täglich auf – das ist mehr Zeit als auf allen anderen genannten Plattformen zusammen. Die Plattform zieht täglich über 71,5 Millionen Nutzer an und wird dadurch zunehmend für innovative Unternehmen interessant, die spielerisch Wissen über ihre Produkte und Dienstleistungen vermitteln wollen.

Virtuelle Realitäten liegen im Trend

Die technologische Entwicklung im Bereich virtueller Realität ist rasant. Insbesondere die Produkte Apple Vision Pro und Meta Quest von Apple und Meta haben das Spatial Computing (wieder) auf die Tagesordnung gebracht. Die Grenzen zwischen realem und virtuellem Raum verschwimmen zunehmend und mit generativer künstlicher Intelligenz als zusätzlichem Katalysator entsteht derzeit eine Vielzahl hochinnovativer, zum Teil experimenteller Anwendungen. Von VR-Brillen gestütztem Einsatz in komplexen Operationen in der Chirurgie bis hin zur Simulation industrieller Produktionsprozesse mittels sogenannter „Digitaler Zwillinge“ scheinen den Möglichkeiten und der Kreativität in der Umsetzung von Lösungen keine Grenzen gesetzt zu sein.

Diese Anwendungen mögen zwar auf den ersten Blick für Banken nicht als unmittelbar relevant erscheinen – das Verständnis der zugrundeliegenden Dynamiken und Erfolgsfaktoren ist aber in jedem Fall von Bedeutung für das eigene Geschäftsmodell.

Wir gehen im Folgenden auf einige ausgewählte Beispiele und Ansätze aus unserer Beratungs- und Projektpraxis ein, die Banken und Finanzdienstleistern einen strukturierten Einstieg und Überblick geben sollen.

Vermittlung von Finanzwissen und Produktvertrieb – ein Widerspruch?

Ein besonders interessantes Beispiel aus der Finanzwirtschaft stellt Bloom-o-rama von Fidelity Investments dar – eine virtuelle Erlebniswelt auf der Plattform Decentraland, die auf unterhaltsame Art Finanzwissen vermittelt. Das virtuell Erlernte lässt sich zudem direkt beim Sparen mit dem gleichnamigen Anlageprodukt Bloom in der realen (2D) Welt in die Praxis umsetzen.

Bloom-o-rama von Fidelity bietet Finanzbildung und Produktmarketing im Metaverse.

„Durch diese neuen und relevanten Erlebnisse bieten wir der nächsten Generation von Investierenden die Werkzeuge, um Wissen und eine solide finanzielle Basis für die Zukunft aufzubauen“, sagt Kathryn Condon, Marketingchefin bei Fidelity. Das Unternehmen bewertet die virtuelle Welt nicht nur als einen weiteren digitalen Kanal, sondern baut auf den ersten Erfahrungen und dem Erfolg mit Bloom-o-rama auf, indem der weitere strategische Ausbau des Angebots fortgesetzt wird.

So oder so ähnlich kann künftig eine erfolgreiche Kombination aus Finanzbildung und zielgerichtetem Produktvertrieb für Kunden aussehen. Die entscheidenden Zielgruppen stellen für Banken jedoch nicht nur die Bankkunden, sondern vor allem auch Bankmitarbeiter dar.

Mitarbeiter schulen und bessere Kollaboration ermöglichen – auch virtuell

Ob beim Onboarding neuer Mitarbeitender oder bei der Durchführung von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen – Lern- und Wissensmanagement im virtuellen Raum hat Potential. Essenzielles Wissen lässt sich in diesen Umgebungen und mit spielerischen Mitteln besonders nachhaltig vermitteln.

Auch wissenschaftliche Untersuchungen belegen die Nachhaltigkeit von virtuellem Lernen. Die Stanford University konnte in entsprechenden Untersuchungen eine um 76 Prozent gesteigerte Lerneffizienz gegenüber traditioneller Wissensvermittlung feststellen.

Virtuelle Welten dringen zudem vermehrt zu den Kollaborationsplattformen der Unternehmen vor. Eine neue Version von Microsoft Teams bietet die Möglichkeit, reale Meetings um virtuelle Räume und Elemente zu erweitern – so entsteht mehr Raum für Kreativität und Produktivität.

Auch in Bezug auf die Identifikation junger Nachwuchstalente für die Bank können diese neuen Technologien eine wichtige Rolle spielen. Relevante Talent-Pools lassen sich gezielt international ansprechen, wie zum Beispiel Santander mit ihrer Santander X Global Challenge, einem virtuellen Hackathon Event für Blockchain und Web3 interessierte Studierende, eindrucksvoll zeigt.

Produktnahe Anwendungsfelder für Banken – komplementäre Erlebniswelten für Produkte schaffen

Komplexe Anlageprodukte für neue Kundensegmente zugänglich zu machen, hat für viele Banken Priorität. Die Bedeutung einer guten digitalen Experience zeigt der Erfolg der verschiedenen Neobroker. Was spricht also dagegen, das Konzept des Börsenspiels nicht nur ins Digitale, sondern gleich ins Virtuelle zu übertragen? Durch die Kombination von Web3 und Spielelementen lassen sich hier innovative Interaktionen mit Nutzern umsetzen.

Börsenspiel meets Web3: ein bekanntes Konzept zeitgemäß neu gedacht.

Die Immobilie, als ein weiteres Beispiel, wird gerne als eine einmalige Finanzentscheidung im Leben bezeichnet. Kunden während des gesamten Lebenszyklus der Immobilie – von der Suche bis zur Sanierung – mit einem virtuellen „Digitalen Gebäudepass“ zu begleiten, bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten, um Finanzbedarfe zu identifizieren und Kunden mit dem passenden Finanzierungsangebot zu adressieren. Man denke hierbei an das hochaktuelle und komplexe Thema der energetischen Sanierung.

Worauf kommt es bei den ersten Schritten an?

Bei der Konzeption eigener Anwendungen sind vier wesentliche Aspekte zu bedenken, die zum Erfolg eines ansprechenden Erlebnisses maßgeblich beitragen.

1. Spatial Computing ermöglicht räumliches Erleben (erweiterte Realität = XR)

Durch die kreative Kombination unterschiedlicher Realitätsebenen – von vollständig in 3D gestalteten Umgebungen (VR) bis zu realen Umgebungen, in welche 3D- Elemente hineinprojiziert werden (AR/MR) – lassen sich je nach Anwendung und Zielsetzung intensiv erfahrbare Erlebnisse für die Nutzern realisieren („Immersion“). Während virtuelle Realitäten auch auf dem PC oder auf dem Smartphone erlebt werden können, wird mit dem Einsatz von Headsets die umgebende Realität virtuell um digitale Objekte und Interaktionen erweitert (XR).

Hiervon können Banken profitieren: Unternehmenskritische Abläufe können realistisch simuliert und Mitarbeitende gezielt trainiert werden. Mögliche Anwendungsfelder erstrecken sich von Regulatory Compliance Trainings bis zu Business Continuity Simulationen (z. B. Verhaltensweisen bei Katastrophenfällen in Rechenzentren).

2. Personalisierte Erlebnisse und Inhalte mit generativer KI

Wie aktuelle Zahlen des Wagniskapitalgebers Andreessen Horowitz (a16z) zeigen, verbringen Nutzer bis zu 2 Stunden täglich in der Interaktion mit sogenannten digitalen Agenten.

Eine Form von digitalen Agenten sind Non-Playable-Character (NPC). Diese virtuellen, personifizierten Assistenten unterstützen bei der individuellen Vermittlung inhaltlich komplexer Themen. Die Interaktion mit diesen Agenten wird zunehmend natürlicher, insbesondere durch die problemlose Möglichkeit, natürliche Sprache für die Ein- und Ausgabe zu nutzen. Generative KI wird darüber hinaus genutzt um „On Demand“ Anpassungen des Erlebnisses (Ablauflogik, visuelle Umgebung) zu ermöglichen, die auf die individuellen Präferenzen der Nutzer zugeschnitten sind.

Digitale Agenten unterstützen neue Mitarbeiter individuell bei der Orientierung.

Für Banken erschließen sich sowohl für interne als auch für an ihre Kunden gerichtete Anwendungen Potentiale: Der Übergang von Wissensvermittlung zur Kundenberatung oder dem Kundenservice wird fließend, wie auch die eingangs aufgeführten Beispiele zeigen. Erste Umsetzungen der Commerzbank und der Sparkassen Finanzgruppe für den vertrieblichen Einsatz gibt es bereits.

Digitale Assistenten können aber auch Mitarbeiter durch den Arbeitsalltag begleiten und (kosteneffizient) individuelle Unterstützung anbieten. Durch die Auswertung der häufigsten Fragestellungen lassen sich zugleich Rückschlüsse auf mögliche Prozessoptimierungen ziehen.

3. Erlebnisdynamik anreichern durch Web3-Technologien

Durch den Einsatz von Spielmechaniken und Web3-Technologien lässt sich ein hohes Engagement der Nutzer mit dem angebotenen Erlebnis und den darin enthaltenen Inhalten erreichen. Es können Aufgaben gestellt werden, die einzeln oder gemeinsam durch Nutzer zu lösen sind und an deren Ende eine virtuelle Belohnung – etwa ein digitales, teilweise exklusives Sammelobjekt (sog. NFT) – steht. Diese Sammelobjekte können gehandelt oder gegen virtuelle Objekte bzw. gegen reales Geld getauscht werden („Play-To-Earn“-Konzept). Die Sammelleidenschaft und das Tauschvolumen von digitalen Sammelobjekten sind heute bereits beachtlich. Die US-Großbank J.P.Morgan geht in ihrer Marktanalyse von einem jährlichen Handelsvolumen digitaler Güter in Höhe von 54 Milliarden USD aus.

Auch eine Teilnahme selbst kann digital zertifiziert werden (sog. POAP) und eröffnet  Nutzern exklusive Zugangsrechte in der virtuellen oder Vorteile in der realen Welt. Hierzu könnten ermäßigte Gebühren bei Karten, Konten oder andere Preisvorteile bei Finanzprodukten gehören. Weiter gedacht können digitale Güter auch als Kreditsicherheiten dienen.

So entstehen originäre, für das Bankwesen spezifische Handlungsmöglichkeiten, die den Produktkern der Bank berühren. Die Skala reicht von der Abwicklung von Transaktionen, der sicheren Aufbewahrung digitaler Wertgegenstände und der Verknüpfung mit digitalen Wallets bis hin zu token-basierten, closed-loop Währungen wie zum Beispiel der vom Facebook Mutterkonzern “Meta” angekündigten QuestCash.

Quest Cash von Meta für einfaches Bezahlen in virtuellen Umgebungen.

4. Orchestrierung und Bereitstellung von Angeboten auf geeigneten Plattformen

Die öffentliche Diskussion rund um virtuelles Erleben ist geprägt von umfassenden Begriffen wie Metaverse und Spatial Computing, während die darunter liegenden Technologien und Plattformen sich als weniger homogen und zusammenhängend darstellen, als man annehmen könnte.

Eine Reihe von Plattformanbietern ermöglicht heute die Entwicklung und Bereitstellung virtueller Erlebnisräume. Sie setzt dabei jedoch auf unterschiedliche Schwerpunkte in ihren Ausrichtungen (Fokus auf VR, Gaming, Virtual Estate etc.) und Zielgruppenstrategien. Bei der Bewertung für das eigene Angebot sollten daher unter anderem folgende Gesichtspunkte in Betracht gezogen werden:

  • Strategischer Fit: Deckt sich die inhaltliche Ausrichtung und die auf der Plattform aktive Zielgruppe mit der des eigenen Unternehmens, Produkts oder Dienstleistung?
  • Wiederverwendbarkeit: Können für das eigene Angebot zu erstellende Inhalte plattformunabhängig für weitere Anwendungen in anderen Umgebungen wiederverwendet werden?
  • Personalisierbarkeit: Können Nutzer bereits vorhandene oder erworbene digitale Güter, Sammelobjekte und Avatare mitbringen und ebenfalls wieder mitnehmen?
  • Skalierbarkeit: Können Bestands- und Produktdaten oder Unternehmensinhalte sicher eingebunden werden? Wie können Drittplattformen (z. B. digitale Wallets) integriert werden? Gibt es eine Lösung für Zugangsmanagement (z. B. für interne Angebote) und eine sichere Bereitstellung (z.B. DS GVO-Konformität)?

Im Mittelpunkt der eigenen Überlegungen sollte immer die Frage stehen: Wie lässt sich eine Umgebung zum flexiblen Experimentieren mit dem Medium und den relevanten Basistechnologien schaffen?

Aus unserer Erfahrung gibt es hier insbesondere für Banken relevante Eintrittsbarrieren. Wir haben daher auf Basis offener Technologien und Standards die IBM Spatial Plattform entwickelt, die wir unseren Kunden in gemeinsamen Projekten nun erstmalig im D/A/CH Raum in einer hochsicheren und skalierenden Cloud-Umgebung bereitstellen. Kunden haben auf Wunsch die Möglichkeit, auf Plattformebene an der funktionalen Weiterentwicklung mitzuwirken und dabei vom Wissen und der Erfahrung unseres global aufgestellten Kompetenzteams zu profitieren.

Typische Herausforderungen bei der Konzeption und Umsetzung

Wirft man nochmal einen ganzheitlichen Blick auf den Prozess, von der Konzeption bis zur Umsetzung virtueller Erlebnisse, begegnen wir in unserer Beratungspraxis vor allem den folgenden drei Herausforderungen:

1. Wie identifizieren wir den passenden Anwendungsfall?

Den oder die richtigen Anwendungsfälle gibt es nicht. Wir haben in diesem Artikel einige Anregungen dazu gegeben, welche Felder nach jetzigem Erfahrungsstand aussichtsreich erscheinen bzw. wo sich „low hanging fruits“ ergeben können. Ansonsten gilt: Der Anwendungsfall sollte genau auf die Bedürfnisse der Nutzer fokussiert sein. Üblicherweise wird der Anwendungsfall zu groß geschnitten – weniger ist hier mehr.

2. Wie stellen wir die Nachhaltigkeit des Angebots sicher?

Wie bei allen digitalen Angeboten gilt es auch hier, die inhaltliche Ausgestaltung mitzudenken. Es geht häufig darum, den Nutzern ein gemeinsames Erleben und einen Austausch untereinander zu ermöglichen – hier wird meist zu kurz gedacht.

3. Verfügen wir über die notwendigen Ressourcen und Expertise?

Dieser Punkt mag vielleicht zunächst trivial erscheinen. Das neue Medium und die relevanten Technologien erfordern jedoch spezifische Fähigkeiten, die üblicherweise in Banken nicht zu finden sind. Hier ist die Auswahl der richtigen Partner von Bedeutung. Genauso wichtig ist es, diese Ressourcen im Projekt zielführend einzusetzen. Wir haben daher ein strukturiertes Vorgehensmodell entwickelt, das den nahtlosen Übergang zwischen Konzeption und prototypischer Umsetzung ermöglicht – die enge Verbindung beider Elemente ist aus unserer Erfahrung wichtig.

Virtuelle Welten bieten ungenutztes Potential für Banken

Im Bereich der virtuellen Welten liegt aus unserer Sicht ungenutztes Potential für Banken – sowohl in Bezug auf heutige als auch künftige Geschäftsmodelle. Aus unserer Sicht ist der wichtigste Aspekt im Umgang mit den Technologien rund um Web3, Spatial Computing und Metaverse der Mut zum Experiment. Im Kern geht es um die Schaffung neuartiger Erlebnisse.

Für ein besseres Verständnis der Potentiale ist vor allem auch das eigene Erleben im Rahmen eigener Experimente wichtig. Es empfiehlt sich daher, nicht im Theoretischen allein zu bleiben, sondern umsetzungsorientiert zu arbeiten. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Basistechnologien weiterentwickeln, die diese Erlebnisse erst ermöglichen, erfordert dies auch.


Jérôme Biallet

Jérôme Biallet ist Koautor des Beitrags. Er ist Associate Director bei IBM iX in Deutschland und ein Experte für Web3-Technologien und digitale Transformation mit mehr als 10 Jahren Berufserfahrung in der Gestaltung und Implementierung innovativer digitaler Dienste, Plattformen und Geschäftsmodelle. Er unterstützt Organisationen bei der Strategieentwicklung, kreativen Ideenfindung und agilen Umsetzung von Web3-basierten Lösungen.