Fluch oder Segen? Angesichts des anhaltenden Filialsterbens in Deutschland darf man zu der realistischen Einschätzung gelangen, dass viele Bankenlenker einem starken Geschäftsstellennetz keine allzu große Zukunft zutrauen. Doch liegen sie damit zwingend immer richtig?
Filialnetzoptimierung, Weiterentwicklung des (digitalen) Serviceangebots oder Begradigung der Flächenpräsenz? Hinter diesen und ähnlichen Euphemismen steht in der deutschen Bankenlandschaft zumeist eine zentrale Idee: der Rückbau des Geschäftsstellennetzes. Die Rationale, denen die zugrundeliegenden Managemententscheidungen folgen, sind dabei so nachvollziehbar wie bekannt: verändertes Kundenverhalten, zunehmende Bedeutung des Onlinebankings und anhaltender Kostendruck.
Eine gewisse Flurbereinigung war und ist angesichts einer Vielzahl schlecht ausgelasteter und mitunter teurer Zweigstellen dringend angezeigt (gewesen). Doch gerade für Volksbanken und Sparkassen mit ihrer traditionell starken Vor-Ort-Präsenz und lokaler Verbundenheit stellt sich die Frage, wie sich ein Rückzug aus der Fläche mittel- bis langfristig auf den eigenen Markenkern und damit letztlich auf die jeweilige Wettbewerbsfähigkeit auswirken wird.
Trend zum Rückzug aus der Fläche ungebrochen
Zum letzten Jahreswechsel hat die Anzahl inländischer Zweigstellen gemäß offizieller Statistik der Deutschen Bundesbank erstmals die Zwanzigtausendermarke unterschritten. 2013 kam die offizielle Zählung noch auf einen Wert von über 36.000 Filialstandorten. Damit ist ein Rückgang von rund 45 Prozent binnen einer Frist von zehn Jahren zu konstatieren. Und ein Ende dieser Entwicklung ist beileibe noch nicht absehbar, auch wenn sich die Dynamik nach Rekordwerten in den Corona-Jahren 2020 und 2021 mit einem Rückgang von jeweils knapp 10 Prozent im Vergleich zum Vorjahr mittlerweile deutlich abgeschwächt hat: 2022 bewegte sich diese Kennzahl mit annähernd 6 Prozent in etwa wieder auf dem Durchschnittsniveau der vergangenen zehn Jahre, um 2023 dann auf nur noch gut 4 Prozent zu fallen.
In der jüngeren Vergangenheit hat insbesondere die Deutsche Bank mit ihrer Ankündigung binnen zweier Jahre bis zu 250 der Ende 2023 noch rund 550 Postbankfilialen schließen zu wollen, für ein größeres Medienecho gesorgt. Damit dürfte sich der generelle Trend, wonach gerade die Großbanken beim Filialabbau rigoroser zu Werke gehen als die übrigen Sektoren des Kreditgewerbes, weiter verfestigen. Grosso modo lässt sich aber festhalten, dass auch die anderen Kreditbanken, das Sparkassenlager sowie der genossenschaftliche Sektor die Konsolidierung ihrer Filialnetze in den letzten Jahren konsequent vorangetrieben haben und den eingeschlagenen Kurs grundsätzlich in der Breite fortführen dürften.
Trägheit der Masse hilft
Kündigen Banken und Sparkassen Filialschließungen an, fallen die Reaktionen von Kunden, Verbraucherschützern, lokalen wie überregionalen Medien sowie der großen und kleinen Politik erwartungsgemäß negativ aus. Beispielhaft für den gesellschaftlichen Mainstream steht der Appell, den unsere ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich des Sparkassentags 2019 an die Vertreter des öffentlich-rechtlichen Lagers richtete: „Bleiben Sie der Fläche gewogen. Effizienz ist nicht alles, die Sparkasse muss immer auch die Seele des Ortes und ihrer Region sein.“
Doch gerade wenn die begleitende Kommunikation seitens der verantwortlichen Banken gut gelingt, verhallt das negative Echo in der Regel ebenso schnell wie es aufgezogen ist. Und noch wichtiger: Bei der Abstimmung der Kunden mit den Füßen zeigen sich bis dato im Gros der Fälle keine nennenswerten Auswirkungen auf Kündigerquoten und Co. Diese Trägheit der breiten Masse, die man landauf, landab zum Beispiel auch bei Preismaßnahmen rund ums Girokonto oder bei der Zinsgestaltung von Sparprodukten beobachten kann, kommt den jeweiligen Entscheidern gut zupass und erhöht die Motivation für weitere Einschnitte.
Erst digitalisieren, dann schließen (und nicht umgekehrt)
In der Praxis zeigen sich mitunter dennoch erste Ermüdungserscheinungen. So ist es beispielweise noch nicht lange her, dass Thomas Schaufler, seines Zeichens Privatkundenvorstand der Commerzbank, verlautbaren ließ: „Mit unseren rund 400 Filialen fühle ich mich momentan sehr wohl.” Zugegeben, der Filialabbau fiel in den letzten Jahren mit der Schließung von rund 600 der einstmals rund 1.000 Standorte bei der Commerzbank durchaus brachial aus. Ein weiterer Abbau sei nun auf absehbare Zeit aber nicht mehr geplant.
Und das aus gutem Grund: „Der finanzielle Teil dieser harten Restrukturierung ist schnell und gut gelungen, aber wir haben auch noch in einigen Bereichen Verbesserungsbedarf“, zog Manfred Knof, damals noch Vorstandsvorsitzender der Commerzbank, Ende 2023 ein gemischtes Fazit. Zwar bewegten sich die Kündigerzahlen deutlich unterhalb der eigenen Erwartungen. Doch die Stimmung bei Kunden und Mitarbeitern hätte merklich gelitten. Teilweise haben sich lange Schlangen gebildet, mit denen schlussendlich auch die eigentlich im Fokus stehende Kundenberatung zu kämpfen gehabt haben dürfte.
Dafür sind im Wesentlichen zwei Ursachen auszumachen: Zum einen konnte die Digitalisierung relevanter Kundenprozesse nicht mit dem Tempo des mit den Filialschließungen einhergehenden Stellenabbaus schritthalten. Zum anderen scheinen die Kunden der Commerzbank nach wie vor eine geringere Digitalaffinität aufzuweisen als vom Management ursprünglich erhofft bzw. erwartet.
Und dieses Phänomen zeigt sich vielfach auch in anderen Häusern: Nur weil digitale Angebote verfügbar sind, werden sie von den Kunden noch lange nicht im gewünschten Umfang genutzt. Hier bedarf es daher einer aktiven und gut durchdachten Change-Begleitung. Und wer wäre für deren Umsetzung besser geeignet als die Mitarbeiter vor Ort in den Filialen?
OptiMa nicht der gewünschte Nordstern für Sparkassen (und andere Regionalbanken)
Mit der sogenannten Optimierung der Marktbearbeitung, kurz OptiMa, hat der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) seinen Mitgliedsinstituten Ende 2022 eine überarbeitete Zentralstrategie mit ausgeprägtem Digitalfokus zur Verfügung gestellt, die unter anderem auch Empfehlungen für die Ausgestaltung des Filialnetzes enthält. Im Kern sieht OptiMa in dieser Dimension eine deutliche Verdichtung der Geschäftsstellen auf wenige größere Beratungs-Center mit Multikanal-Ausrichtung vor. Der in der Erwartung kontinuierlich rückläufige Umfang an stationären Servicefällen soll gemäß Konzeption durch die jeweiligen Kundenberater abgedeckt werden. Dedizierte Servicekräfte sind demnach nicht mehr vorgesehen.
Während dieser Antritt dem anhaltenden Kostendruck Rechnung trägt und der Mainstreamphilosophie innerhalb der Bankenbranche folgt, zeigen sich bei der Umsetzung in der Praxis jedoch diverse Herausforderungen:
- Die geforderte personelle Mindestbesetzung führt vor allem in ländlich geprägten Flächensparkassen zu einem regelrechten Ausbluten der Vor-Ort-Präsenz mit entsprechend langen Wegen zur nächstgelegenen Filiale für einen Großteil der Kundschaft.
- Trotz des erfolgreichen Ausbaus digitaler Serviceangebote setzen viele Kunden weiterhin auf stationäre Lösungen. Vor einer weiteren Verdichtung des Filialnetzes gilt es daher, wie oben bereits beschrieben, zunächst den erforderlichen Change auf Kundenseite erfolgreich zu meistern.
- Der Wegfall von Servicekräften wirkt sich negativ auf die vertriebsaktive Zeit und damit auch auf Vertriebsleistung und Zufriedenheit der Kundenberater aus.
- Angesichts des sich weiter verstärkenden Fachkräftemangels gelten qualifizierte Berater mittlerweile vielerorts als echte Engpassressource, wohingegen sich vakante Servicestellen in der Regel deutlich einfacher besetzen lassen – nicht zuletzt mit motivierten Quereinsteigern.
Filialbankkunden werden wertvoller
In Ergänzung dazu hat die Zinswende auch in dieser Hinsicht die Karten zwischenzeitlich neu gemischt. So hat sich der Wert eines typischen Filialkunden deutlich erhöht und Investitionen in die Kundenverbindung weisen dadurch wieder ein signifikant besseres Renditeprofil auf. Auch Preismaßnahmen im Umfeld der Girokonten lassen sich mit einer starken Flächenpräsenz im Rücken spürbar leichter kommunizieren und durchsetzen.
Und zu guter Letzt ist die Frage zu beantworten, inwieweit ein vergleichsweise radikaler Rückzug aus der Fläche zum Markenkern von Sparkassen (und anderen Regionalbanken) passen möchte: Wie können sie sich dauerhaft von Challengern mit ebenfalls guten digitalen Angeboten und zumeist attraktiveren Konditionen differenzieren?
Rolle der Filiale für die Kundenbindung
Denn auch wenn viele Kunden ihre Bankfiliale nur noch selten frequentieren, spielt die Option einer persönlichen Vor-Ort-Betreuung weiterhin eine wichtige Rolle für die Kundenbindung bzw. bei der Wahl des Bankpartners. Dieser Zusammenhang lässt sich unter anderem sehr gut anhand der Korrelation zwischen der Dichte des Geschäftsstellennetzes und des jeweiligen Marktanteils ablesen.
Angesichts der zuvor ausführlich beschriebenen Trägheit der Masse ist in dieser Hinsicht auch im Falle eines Rückzugs aus der Fläche – mitunter auch in Ermangelung besserer Alternativen – zwar nicht mit einer sonderlich dynamischen Entwicklung zu rechnen. Sinkende Loyalität dürfte sich über die Zeit aber dennoch in einem Rückgang der Kundenzahl niederschlagen und vertriebliche Aktivitäten erschweren.
Smarte Lösungen gefragt
Mit einem einfachen „Weiter so“ ist es allerdings nicht getan. Die fortschreitende Digitalisierung wird die Nachfrage nach stationären Serviceleistungen trotz der vielerorts an der Kundenschnittstelle schleppenden Transformation über kurz oder lang deutlich reduzieren. Investitionen in den Erhalt und die Modernisierung von Filialstandorten sollten sich rechnen und das Flächenangebot zum Bedarf passen. Vielleicht aber noch wichtiger: Attraktive und verlässliche Öffnungszeiten sowie ein hohes Maß an Betriebssicherheit müssen mit der zur Verfügung stehenden Mannschaft gewährleistet werden können. Dafür bieten sich insbesondere die folgenden Stellschrauben an:
- Anpassung der Öffnungszeiten im Service,
- Tandembildung mit abgestimmten Öffnungszeiten für kleinere Filialen mit kürzeren Öffnungszeiten,
- Flexibilisierung des Personaleinsatzes,
- Frühzeitige Verantwortungsübernahme durch Auszubildende,
- Einführung bzw. Ausweitung von Ansätzen der Teambetreuung,
- Überprüfung des Serviceangebots inklusive der Begrenzung bargeldbezogener Leistungen auf bestimmte Flaggschiffstandorte (Stichwort Vier-Augen-Prinzip),
- Befähigung des Serviceteams zum Abschluss bestimmter Produkte.
Kundennachfrage und Wirtschaftlichkeit müssen passen
Kurzum: Kundennachfrage und Wirtschaftlichkeit müssen dauerhaft in einem gesunden Verhältnis zueinander stehen. Daher sollten einzelne Geschäftsstellen oder das Filialnetz als Ganzes regelmäßig oder – nach dem Auslösen definierter Triggerpunkte – anlassbezogen auf Basis abgestimmter Bewertungskriterien auf den Prüfstand gestellt werden.
Dabei darf das Ziel nicht sein, eine stumpfe Scoring-Logik zur Beantwortung der Frage nach möglichen Filialschließungen zu etablieren. Vielmehr geht es darum, die Diskussion zu versachlichen und zu einem möglichst umfassenden Bild zu gelangen, das sowohl qualitative als auch quantitative Faktoren berücksichtigt. Das folgende Schaubild illustriert diesen Ansatz.
Flächenpräsenz bleibt wichtig
Weniger ist beim Blick auf das Filialnetz nicht immer mehr. Gerade für Regionalbanken bietet eine starke Flächenpräsenz großes Potenzial zur Verteidigung respektive Ausweitung der jeweiligen Marktposition.
Die eine Schablone für das die Ausgestaltung eines optimalen Filialnetzes existiert indes nicht. Stattdessen gilt es hausindividuelle Lösungen im Einklang mit der jeweiligen Strategie und den Gegebenheiten vor Ort zu erarbeiten. Das haben dem Vernehmen nach auch die Strategen des DSGV erkannt. Eine Weiterentwicklung von OptiMa soll bereits in den Startlöchern stehen.
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