Eine steigende Zahl von deutschen FinTechs spezialisiert sich auf Factoring, einem Markt, der bislang nur großen Unternehmen offen stand. Das neue Angebot ist für kleine Unternehmen attraktiv, da weder Vertragsbindung noch Mindestumsätze anfallen.
Seit mehreren Jahren sind FinTechs ein großes Thema in der Finanzwelt. In letzterer Zeit konnte man vermehrt FinTechs beobachten, die Factoring-Dienstleistungen anbieten. Factoring, also der Verkauf von Forderungen, die ein Unternehmen gegenüber seinen Kunden hat, an Dritte stand bisher nur Unternehmen mit einer gewissen Größe offen. Dies liegt daran, dass in der Regel ein Rahmenvertrag mit einem Factoring-Institut oder einer Bank geschlossen werden muss, der ein gewisses Mindestvolumen über einen Zeitraum hinweg garantiert.
FinTech-Factoring in Deutschland
Wir haben zwölf FinTech-Factoring-Unternehmen identifiziert, die entweder ausschließlich Rechnungsvorfinanzierung bzw. Factoring oder eine Kombination aus Factoring und Kreditvergabe betreiben.
Die Kernzielgruppe dieser Factoring-FinTechs bilden kleine und mittelständische Unternehmen (KMU), Selbstständige und Freiberufler (auch Freelancer), die i.d.R. keinen Mindestumsatz vorweisen müssen.
Nur wenige der Factoring-FinTech-Anbieter (CRX Markets, Decimo, Rechnung48) verfügen über eine eigene BaFin-Lizenz, weswegen die Rechnungsvorfinanzierung mittels einer Partnerbank abgewickelt wird.
Billie setzt zum Beispiel auf die Kooperation mit dem etablierten und marktführenden Anbieter für Factoring-Lösungen in Deutschland Targo Commercial Finance. Decimo und Billie sind hierbei besondere Ausnahmen, da diese Unternehmen als einzige FinTechs Mitglied im Deutschen Factoring-Verband e.V. sind und Decimo dazu noch eine eigene BaFin-Lizenz besitzt. Trustbills wiederum setzt auf die Beteiligung von internationalen Großbanken als strategische Partner. Die DZ Bank erwarb bereits 25 Prozent der Anteile an Trustbills, und die Deutsche Bank beteiligte sich an dem FinTech mit 12,5 Prozent.
Produktspektrum der FinTech-Unternehmen
Das Produktspektrum der FinTechs reicht von stillem und offenem sowie unechtem und echtem Factoring über Full-Service- und Inhouse-Factoring bis hin zu Reverse Factoring, wobei manche Anbieter nur auf Wunsch des Kunden eine Risikoabsicherung über den Kreditversicherer Euler Hermes anbieten (FLEX Payment, Fundflow). Außerdem können Zusatzangebote wie die Übernahme des Forderungsmanagements (Rechnungsversand, Mahnwesen) bei bspw. FLEX Payment, Pagido und Decimo oder des Debitorenmanagements (bei Decimo und Rechnung48) angenommen werden. Oft wird auch über einen Partner das Inkasso übernommen.
Reverse Factoring wird vom Münchner FinTech CRX Markets betrieben. CRX bietet als auktionsbasierter, BaFin-lizenzierter Marktplatz für Supply-Chain-Finanzierungslösungen verschiedene Produkte nicht nur für deutsche Kunden, sondern auch für internationale an. Der Auftragsinitiator, also der Kunde von CRX ist stets der Abnehmer/Rechnungsempfänger bzw. der Schuldner der Forderung (Großkonzerne). CRX hat bereits diverse Großkonzerne als Kunden gewinnen können, u.a. Nestlé, Lufthansa und Vattenfall. Das Zahlungsziel ist bei CRX auf maximal 180 Tage begrenzt, der Rechnungsbetrag liegt zwischen 10.000 und 5 Mio. Euro.
Das Zahlungsziel ist bei allen FinTechs auf 60, 90, 120 oder max. 180 Tage beschränkt. Der Rechnungsbeträge wiederum sind unterschiedlich limitiert, liegen aber vorrangig in einer niedrigeren Spanne zwischen einem und max. 250.000 Euro. Diese Summen werden meist zu 80-90 Prozent vorfinanziert und innerhalb von 24-48 Stunden ausbezahlt. Der Restbetrag wird als Sicherheit einbehalten, bis die Rechnung beglichen ist. Vom Sicherungseinbehalt werden im Anschluss Gebühren abgezogen, die sich je nach Anbieter auf rund 2 Prozent bis 4 Prozent des Rechnungsbetrags belaufen. Die FinTechs Decimo, Pagido, Rechnung48 und Fundflow locken mit der sofortigen Auszahlung des vollen Rechnungsbetrags (abzgl. Gebühr).
FinTech-Marktplatz zur Versteigerung notleidender Forderungen
Ein spezieller Anbieter ist das FinTech Debitos, das eine Online-Plattform für den Verkauf von notleidenden Forderungen und Krediten auf Basis eines Auktionsverfahrens anbietet. Der Marktplatz ermöglicht die Versteigerung von unbesicherten und immobilienbesicherten Forderungen sowie Insolvenzquoten.
Als Käufer zugelassen sind Fonds, Inkasso-Unternehmen, Rechtsanwälte, Factoring-Unternehmen und Banken, welche somit Zugriff auf Angebote zu offenen Forderungen von Unternehmen (inkl. Gewerbetreibende und Freiberufler), Banken, Versicherungen und Finanzdienstleistern erhalten. Prinzipiell können Forderungen jeder Höhe versteigert werden, die Gebühren für die Transaktion trägt allein der Verkäufer. Insgesamt beläuft sich das bisher versteigerte Forderungsvolumen auf über 1,81 Milliarden Euro, registriert sind zum Stand Dezember 2017 mehr als 512 internationale Investoren.
Durchschnittlich werden bislang pro Auktion 7,5 Gebote abgegeben. Alle Anbieter betreiben Einzelfactoring, auch wenn manche (Pagido, Rechnung48) einen Rahmenvertrag wünschen, der aber keine Andienungspflicht aller Rechnungen des Kunden enthält.
Enormes Wachstumspotenzial für FinTech-Factoring
Die Factoring-Anbieter in Deutschland konnten bislang lediglich rund 28.000 Kunden erreichen. Allerdings besteht ein enormes Wachstumspotential in diesem Finanzdienstleistungssegment. Ein Vergleich der Konditionen von traditionellen Anbietern (Banken, Finanzdienstleistungsunternehmen) und FinTechs verdeutlicht, dass FinTechs zwar nicht generell günstiger sind, aber den Markt nach unten skalieren. Sie ermöglichen Selbstständigen, Freiberuflern und KMU einen einfacheren Zugang zum Markt, da weder Vertragsbindung noch Mindestumsätze von FinTechs gefordert werden.
FinTechs erschließen mittels Bündelung von Einzelforderungen Märkte, die für traditionelle Anbieter bisher zu kleinteilig waren. Durch die Möglichkeit, Einzelfactoring ohne langfristige Andienungspflicht zu betreiben und durch deutlich schnellere Prozesse aufgrund von Automatisierung und Technologie-Einsatz sowie (Preis-)Transparenz und gute Kundenorientierung, können FinTechs im Bereich Factoring Kunden gewinnen. Ferner ist anzumerken, dass FinTechs bereits von prominenter Kundschaft eingesetzt und vor allem von den klassischen Anbietern ernst genommen werden.
Insgesamt lässt sich abschließend vermuten, dass FinTechs den Factoring-Markt weiter angreifen werden. Sei es mit eigener BaFin-Lizenz oder in Kooperation mit Banken: FinTechs gestalten den Factoring-Markt für KMU und Selbstständige attraktiver und haben somit das Potenzial, dieses Kundensegment weiter zu erschließen und zu bearbeiten.
Der Artikel ist ein Auszug aus dem Beitrag „Wie FinTechs den Factoring-Markt neu gestalten“ aus dem Corporate Finance Themenheft „Digitalisierung der Mittelstandsfinanzierung“.
Jacqueline Rad ist Co-Autorin des Beitrags. Sie arbeitet bei Infineon Technologies in Regens-burg. Zuvor hat sie einen Master of Science mit den Schwerpunkten Finanzierung und Manage-ment & Führung erworben und am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre geforscht.