Während die deutsche Politik mit der Bildung einer neuen Regierung beschäftigt war, haben sich acht nordeuropäische Länder mit einem Positionspapier zur Zukunft der Europäischen Union in Stellung gebracht. Die Reaktion der Bundesregierung dazu steht noch aus.
Mehr Europa?
Von der deutschen Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, hat sich Anfang März 2018 eine Allianz aus acht nordeuropäischen Ländern gegen die von Paris und Brüssel geforderte „Vertiefung“ der EU in Stellung gebracht. In einem gemeinsamen Positionspapier verwahren sich die Finanzminister von Dänemark, Estland, Finnland, Irland, Lettland, Litauen, den Niederlanden und Schweden gegen eine Transferunion. Bemerkenswerterweise haben sich auch Dänemark und Schweden, die der Eurozone gar nicht angehören, dieser Initiative angeschlossen.
Wörtlich heißt es ohne diplomatische Schnörkel: „An weitere Kompetenzübertragungen auf die europäische Ebene darf nur dort gedacht werden, wo ein wirklicher Mehrwert gesichert ist. Am Ende müssen wir einen Konsens darüber finden, was wir unbedingt brauchen, nicht darüber, was einige gerne hätten.“
Damit wird erstmalig in der Geschichte der Europäischen Union eine starke Abwehrfront gegen die weitere Verlagerung nationaler Rechte und Finanzmittel nach Brüssel aufgebaut. Stattdessen plädieren die Nordländer für eine Rückkehr zur strikten Einhaltung der EU-Verträge und des Subsidiaritätsprinzips.
Ihr Papier stellt fest: „Für eine Stärkung der Währungsunion sind zuallererst entschiedene Schritte in den Mitgliedsstaaten und die Einhaltung unserer gemeinsamen Regeln nötig“.
Das beginne mit Strukturreformen und der Beachtung des Stabilitätspakts. Das vorhandene wirtschafts- und finanzpolitische Instrumentarium müsse genutzt werden. So könne sich jedes Land Spielraum in seinem Haushalt für schlechte Zeiten aufbauen. Damit lasse sich die Währungsunion stabilisieren.
Zu hoffen bleibt, dass es sich hierbei nicht nur um ein einmaliges Polit-Statement handelt, sondern um ein dauerhaftes Stabilitätsbündnis mit klarem Gestaltungswillen zur Rekonstruktion einer zukunftsfähigen EU.
Kurswechsel in Berlin?
Noch unklar sind die Hintergründe der ungewöhnlichen Nordländer-Initiative, die sich als historische Wendemarke zur EU-Rettung im Rahmen der ursprünglich vereinbarten Ziele und Strukturen erweisen könnte. Deutschland, das bisher auch als Sachwalter nordeuropäischer Interessen anerkannt war, ist bemerkenswerterweise an dem Papier nicht beteiligt. Man darf wohl annehmen, dass Auslöser dieser konzertierten Aktion die Sorge der acht Nordländer um einen Kurswechsel der neuen Bundesregierung ist.
In der Tat signalisiert der in diesem Punkt noch von Martin Schulz diktierte Koalitionsvertrag eine fatale Bereitschaft, den Vorstellungen von Macron und Juncker in Richtung auf eine Transfer- und Schuldenunion nicht mehr allzu viel Widerstand entgegenzusetzen.
Vor diesem Hintergrund merkt ein Redakteur der „Wirtschaftswoche“ kritisch an: „Deutschland ist das einzige Land der Welt, dessen Bürger darauf bauen müssen, dass ihre Interessen von anderen Regierungen wahrgenommen werden.“ Und die FAZ kommentiert: „Jetzt fürchten die Acht aus dem Norden, von den großen Ländern Frankreich und Deutschland unter Führung von Paris überrollt zu werden.
Die Acht fordern die Einhaltung der Regeln der Währungsunion und des Stabilitätspakts, sie lehnen zusätzliche ‘Stabilisierungsmittel’ für die Kommission ab und sie wollen, dass bei der Weiterentwicklung der Eurorettungsfonds die Entscheidung klar in den Händen der Mitgliedstaaten bleiben. Klugerweise möchten sie auch keine Vergemeinschaftung nationaler Einlagensicherungssysteme, bevor der gigantische Berg fauler Kredite in südeuropäischen Bankbilanzen abgebaut ist.“
Macrons Pläne
Wie verhängnisvoll sich eine EU-„Vertiefung“ nach französischen Vorstellungen auf Deutschland auswirken würde, hat der Ökonom Hans-Werner Sinn in einem Interview aufgezeigt. Das Konzept Macrons, das einen gemeinsamen Finanzminister, ein eigenes Steuerbudget, einen europäischen Währungsfonds und eine europäische Arbeitslosenversicherung vorsieht, werde allenfalls kurzfristige Beruhigungseffekte für Banken und andere Großanleger auslösen, auf Sicht aber die Basis für eine neue Schuldenkrise legen und die Wettbewerbsfähigkeit des ganzen Kontinents schwächen. Sinn wörtlich: „Diese Politik reißt uns in einen neuen Schuldensumpf, pustet eine weitere Schuldenblase auf und verspielt die Ersparnisse der Bürger, die eigentlich zur Finanzierung der Renten gedacht waren.“ Abzuwarten bleibt, ob sich die neue Bundesregierung mehr an pragmatischen Polit-Interessen oder an euromantischen Wunschvorstellungen orientiert. Vor allem für den neuen Bundesfinanzminister wird schon bald die Stunde der Wahrheit schlagen.
Zeit zum Liefern
Nach fast sechsmonatigen Irrungen und Wirrungen ist endlich wieder eine reguläre Bundesregierung im Amt. Der Rest der Welt hat leider keine Rücksicht auf die eingeschränkte Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik genommen. Und der Koalitionsvertrag der GroKo stößt in der Wirtschaft auf reduzierte Begeisterung. So spricht der Verband der Familienunternehmer von einem „Schönwetterpapier“, das keine Antworten parat halte für einen Handelskrieg mit den USA, für Hacker-Angriffe aus Russland oder für den Steuerwettbewerb mit anderen Ländern. Der DIHK kritisiert die unnötigen Belastungen für viele Betriebe. Und der Digitalverband Bitkom mahnt die schnelle Umsetzung der digitalpolitischen Vorhaben an. Es ist höchste Zeit für die Politik, endlich wieder zukunftsorientiert und verantwortlich zu liefern. Bei dem ungeheuerlichen Target2-Risiko sieht offenbar niemand mehr Handlungsbedarf…