Die Welt, in der wir leben ist immer unsicherer geworden. Die Bankhäuser und der Finanzdienstleistungssektor insgesamt bekommen die Veränderungen auch auf der Kundenseite zu spüren – und müssen diese Situation interpretieren und schnell reagieren.
Wer ab den 90ern in Deutschland aufgewachsen war, lebte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in einem stabilen politischen System in und um Deutschland herum. Trotz zweier Krisen (Dotcom und Finanzkrise) wuchs die Wirtschaft kontinuierlich und die Realzinsen sanken von einem Höhepunkt Anfang der 90er Jahre bis zur Niedrigzinsphase in den letzten Jahren.
Zeitgleich entwickelte sich unsere Gesellschaft zu Themen wie Gleichberechtigung, Nachhaltigkeit oder auch Gesundheit kontinuierlich weiter und der einzelne Mensch hat seine Rolle in der Gesellschaft immer häufiger kritisch hinterfragt.
Das waren paradiesische Zustände, die durch COVID-19 und den Ukraine-Krieg ein Ende gefunden und viele Menschen in eine persönliche, finanzielle und auch berufliche Krise gestoßen haben.
Das Ende des Paradieses
Unsere diesjährigen Life Trends beschäftigen sich mit Menschen auf der Suche nach Wegen, sich in einer unsicheren Welt zurechtzufinden. Neue Technologien geben den Menschen mehr Kontrollmöglichkeiten – mit nie dagewesenen Folgen für Unternehmen und Einzelpersonen. Auch der Banken- und Finanzdienstleistungssektor hat diese Paradigmenwechsel auf verschiedensten Ebenen zu spüren bekommen – und muss seine Schlüsse daraus ziehen.
Die scheinbar geringfügigen Kontrollverschiebungen werden die Kräfteverhältnisse auf allen Ebenen verändern. Die Entscheider:innen der Finanzbranche müssen sich fragen: Was sind die Kunden bereit, von sich preiszugeben? Wie können Marken Vertrauen aufbauen und neue Technologien für ihr Wachstum nutzen?
Die Accenture Life Trends 2023 sind der geistige Nachfolger der seit 15 Jahren etablierten Fjord Trends. In der diesjährigen Studie steht das Prinzip der Life-Centricity (Lebenszentrierung) im Mittelpunkt: Sie untersucht, wie Menschen ihr Leben umgestalten und neue Technologien nutzen, um ihren sich ändernden Bedürfnisse nachzukommen.
Von den fünf identifizierten Trends, die das Kräfteverhältnis und die Dynamik zwischen Marken und Kunden hinaus verändern werden, sind einige Strömungen besonders relevant und mit Auswirkungen für unsere Bankenwelt verbunden.
Junge Bankkunden in der Dauerkrise
Wir befinden uns in einer Dauerkrise und viele, gerade junge Menschen leiden unter den nicht gekannten Herausforderungen, wie politische Instabilitäten als Bruch zu der davor erlebten kontinuierlichen gesellschaftlichen Weiterentwicklung. Hinzu kommen wirtschaftliche Fakten wie steigende Zinsen und hohe Inflation. Diejenigen, die vorher schon wenig hatten, sehen ihre Möglichkeiten schwinden, ihre eigene wirtschaftliche Lage zu verbessern. Die Gutverdienenden, die ihre Chance auf wirtschaftliche Unabhängigkeit im Immobilienmarkt oder in Kryptowährungen gesucht haben, sind gemeinsam mit fallenden Kursen hart aufgeschlagen. Dabei ist das eine die Spekulation und der Verlust virtueller Gewinne. Das andere sind reale Bedrohungen der Existenz, da die Anschlussfinanzierungen der häufig zu teuer gekauften Immobilien als Konsequenz haben, dass diese mit Verlust verkauft werden müssen. Die hohe Inflation drückt auf der anderen Seite auf die Reallöhne und lässt die Kaufkraft im Monatsrhythmus sinken.
Der erste Life Trend „I will Survive“ beschreibt die in diesen Momenten notwendige Anpassungsfähigkeit der Menschen. Die aktuelle Instabilität bewirkt, dass wir uns von unnötigem Ballast befreien, um beispielsweise die finanzielle Last zu reduzieren. Daher werden Streamingdienste, Fitnessstudiomitgliedschaften oder Altersvorsorgepläne storniert, um das inflationsbedingt gefühlte Minus auf dem Konto zu kompensieren.
Finanzkompetenz stärken, Kunden binden
Und hier liegen auch direkt die Chancen der Banken: Sie können sich als verlässlicher Partner präsentieren, in dem sie ihren Kunden Services und Produkte an die Hand geben, die die neuen Bedürfnisse befriedigen. Ein Beispiel aus der Praxis: Wir haben vor rund fünf Jahren für eine britische Bank einen komplett neuen Ansatz für das „Financial Well-being“ ihrer Kunden entwickelt. Basierend auf einer umfassenden Datenanalyse und qualitativen Interviews den Nutzer:innen zu helfen, ihr Ausgabenverhalten zu verbessern. Mit alternativen Lösungen und konkreten Tipps. Mit der Weiterentwicklung der KI, sehe ich hier unglaubliche Chancen für den Kunden. Ziel war übrigens die Verbesserung der „Financial Literacy“, die auch in Deutschland dringend unterstützt werden sollte, so dass viele Finanzprobleme gar nicht in dieser Form auftreten würden. Was bringt es den Banken? Kurzfristig finanziell betrachtet, erst einmal gar nichts. Aber sicherlich sehr viel positives Feedback aus dem Markt und neue Kunden. Mittelfristig sehr viele loyale und zufriedene Kunden, mit deren Ersparnissen die Banken auch wieder Geld verdienen können.
Die Communities im Blick behalten
Auf der anderen Seite suchen sich die Menschen in instabilen Zeiten auch Zusammenhalt in Gemeinschaften, was unser zweiter Trend „I’m a Believer“ zeigt. Darin geht es um den Aufbau von Communities, die den Menschen ein Zugehörigkeitsgefühl geben. Banken sollten hier den Social-Media-Aspekt den entsprechenden Plattformen überlassen, aber die Möglichkeiten von gemeinsamen Assets in Form von Collectibles bewerten. Damit ergeben sich interessante Möglichkeiten über das reine Ansparen in „gesichtslosen“ ETFs, indem beispielsweise Anteile an digitalen Kunstwerken erworben werden können.
Der dritte Trend „Signed, Sealed, Delivered“ befasst sich mit dem Ende der digitalen Identitätskrise durch Digital Wallets. Ein Wandel im Umgang mit personenbezogenen Daten ist längst überfällig. Transparenz und Vertrauen in die Online-Markenwahrnehmung nehmen rapide ab und 86 Prozent der Menschen sind zunehmend besorgt über den Schutz ihrer Daten. Banken stehen weiterhin für Sicherheit und Vertrauen, denn wir überlassen ihnen unser Vermögen, mit dem Wissen, dass es bei ihnen sicher aufgehoben ist.
Wachstum „Beyond Banking“
Seit Jahren plädieren wir dafür, dieses Asset für neue Geschäftsmodelle zu nutzen, da der Staat bei der Digitalisierung die richtigen Wege geht, aber die Umsetzung durch viele regulatorische Anforderungen nur langsame Fortschritte macht (siehe digitale Patientenakte). Tokenisierte digitale Wallets enthalten Zahlungsmethoden, Ausweise, Kundenkarten und mehr. Es würde sich um einen Ausbau der bereits bestehenden Walltes handeln und ihren Kunden helfen, mittels dieser Wallets zu entscheiden, wie viele Daten sie mit Unternehmen teilen oder sogar verkaufen. Diese freiwillig weitergegebenen Daten werden noch wertvoller sein als die von Drittanbietern, die in unserer „cookiefreien“ Welt nicht mehr gesammelt werden.
Die Life Trends zeigen somit für Banken neue Chancen auf, bei denen sie die bestehenden Kundenbeziehungen nutzen und intensivieren können. Dabei können sie sogar über ihr Kerngeschäftsmodell wachsen, um neue Services und Produkte zu entwickeln, die perspektivisch nachhaltige Einnahmen generieren werden. Nach dem Entstehen der FinTechs, die die Cash-Cows der Banken geschröpft haben, sehen wir hier eine Chance, mit einem Befreiungsschlag in neue Wachstumsmodelle „Beyond Banking“ zu expandieren.