Unter dem Motto „Einfacher, schneller, besser“ hat die Commerzbank im September 2016 ihr Digitalisierungsprojekt auf den Weg gebracht. Zum aktuellen Stand der Umsetzung stand Bereichsvorstand Jörg Hessenmüller Rede und Antwort.
2016 wurde das Projekt „Commerzbank 4.0“ gestartet. Bis Ende 2020 soll durch den Umbau zu einem digitalen Technologieunternehmen das Geschäftsmodell einfacher, effizienter und durchgehend digitalisiert werden. Durch Fokussierung und Digitalisierung will man die Profitabilität nachhaltig steigern. Dabei verfolgt die Bank drei Stoßrichtungen:
- Fokussiertes Wachstum,
- Digitale Transformation und
- Effizienzsteigerung.
Zuletzt wurde davon berichtet, dass die Bank bei ihrem Projekt aufgrund veralteter IT-Systeme auf Schwierigkeiten stoße. Ein guter Aufhänger also, um einmal nachzufragen.
Gespräch mit Jörg Hessenmüller, Commerzbank Bereichsvorstand
Über den aktuellen Stand des Projektes „Commerzbank 4.0“ habe ich mit Jörg Hessenmüller gesprochen. Er leitet als Bereichsvorstand den Konzernbereich Group Development & Strategy und ist verantwortlich für die Umsetzung des strategischen Programms „Commerzbank 4.0“.
Von 2012 bis 2016 war er Vorstandsmitglied der polnischen mBank, ist also vertraut mit Digitalisierung und Innovation. Jörg Hessenmüller begann seine Laufbahn 1989 bei der Dresdner Bank mit einer Ausbildung zum Bankkaufmann und schloss 1997 ein berufsbegleitendes Studium an der Hochschule für Bankwirtschaft in Frankfurt am Main mit dem Schwerpunkt Banking und Finance ab.
Zum 1. Juli 2018 übernimmt er die Leitung des neuen Konzernbereichs Digital Transformation, in dem die Bank alle Funktionen bündelt, die zur Steuerung der digitalen Transformation und der Gestaltung des Kulturwandels nötig sind.
„Wir wollen Technologie und Innovation im Bankgeschäft antreiben“
Der Bank Blog: Die Commerzbank soll sich bis 2020 zu einem digitalen Technologieunternehmen entwickeln. Dabei denkt man vor allem an Unternehmen wie Google, Microsoft, Apple, Cisco oder Intel. Was genau bedeutet „digitales Technologieunternehmen“ für die Commerzbank? Wäre eine digitalisierte Bank nicht besser?
Jörg Hessenmüller: Digitale Marken haben eines gemeinsam: Sie alle stehen für neue Technologien und die kontinuierliche Weiterentwicklung des eigenen Unternehmens. Genau das wollen wir bei der Commerzbank auch erreichen. Wir wollen Technologie und Innovation im Bankgeschäft antreiben. Dabei bleiben wir natürlich weiter eine Bank, aber wir wollen bei allen Trends dabei sein, die das Leben unserer Kunden leichter machen.
Mit dem plakativen Begriff „Digitales Technologieunternehmen“ machen wir klar: Das Bankgeschäft hat sich viele Jahre kaum verändert. Das ist vorbei. Jetzt verändert es sich tiefgreifend. Und deshalb verändert sich auch die Commerzbank und wird zum Digitalen Technologieunternehmen.
Der Bank Blog: Im Rahmen der Strategie Commerzbank 4.0 ist es ein Ziel, bis 2020 80 Prozent der relevanten Prozesse zu digitalisieren. Dazu hatten Sie neun sogenannte Master Journeys und fünf Support Journeys definiert. Wo stehen Sie heute?
Jörg Hessenmüller: Wir kommen gut voran. In den 14 Journeys bilden wir unsere wichtigsten Digitalisierungsvorhaben ab. In jeder Journey widmen sich fachübergreifende Teams einem ganzen Bündel an artverwandten Themen. Acht von 14 definierten Journeys haben wir bereits gestartet. Sieben davon werden wir bis Ende des Jahres abschließen.
„In der Digitalisierung ist Tempo ein Erfolgsfaktor“
Der Bank Blog: Ihr Digital Campus soll einen Schlüsselbeitrag zum Digitalisierungsvorhaben leisten. Wie genau funktioniert das Zusammenspiel?
Jörg Hessenmüller: Der Campus ist der Motor der Digitalisierung in der Commerzbank. Die Teams aus interdisziplinären Experten arbeiten in hohem Maß eigenverantwortlich und agil – mit kurzen Entscheidungswegen, flachen Hierarchien und agilen Arbeitsmethoden.
So können sie schneller und effektiver sein, als das in der klassischen Linienstruktur eines Großkonzerns möglich wäre. Wir bringen Kundenberater, Fach- und IT-Experten zusammen und sind so viel schneller in der Entwicklung neuer Produkte und Services. Wir sind überzeugt, dass bei der Digitalisierung Tempo ein Erfolgsfaktor ist. Denn wer zu langsam ist, wird morgen nicht mehr relevant sein.
Der Bank Blog: Im Digital Campus arbeiten nach Ihren Angaben zwischen 600 und 1.000 Mitarbeiter bereichsübergreifend und projektbezogen am Digitalisierungsvorhaben bei der Commerzbank. Sind das Vollzeit-Tasks? Wie muss man sich den Projektaufbau vorstellen?
Jörg Hessenmüller: Aktuell arbeiten rund 1.000 Kollegen in unserem Digital Campus. Dabei gilt: Wer im Campus mitarbeitet, widmet sich dieser Aufgabe mit ganzer Kraft. Diese Projekteinsätze dauern ca. 12 Monate. Danach gehen die Mitarbeiter zurück in ihre ursprüngliche Funktion, einige kümmern sich dann auch um das nächste Digitalisierungsvorhaben. So bündeln wir zunächst Kompetenzen im Campus und tragen dann digitales Know-how in die gesamte Bank.
Jede Journey ist direkt am Top-Management aufgehängt: Ein Executive trägt die operative Verantwortung, zwei Mitglieder des Vorstands begleiten jede Journey als Paten.
„Wie digitalisieren alles, was sinnvoll digitalisiert werden kann“
Der Bank Blog: Sie sprechen – vermutlich bewusst – von „relevanten“ Prozessen. Wie hoch ist der Anteil dieser Prozesse an den Gesamtprozessen und würden Sie ein oder zwei Beispiele für einen „nicht relevanten“ Prozess geben?
Jörg Hessenmüller: Relevant sind vor allem Massenprozesse – also Tätigkeiten, die immer wieder anfallen. Hier digitalisieren wir alles, was sinnvoll digitalisiert werden kann. Dadurch werden wir nicht nur einfacher, schneller und besser, sondern eben auch effizienter.
Klar ist aber auch: Banking ist People Business. Der Mensch wird auch weiterhin im Kern unseres Beratungs- und Betreuungsansatzes stehen und das ist auch gut so. Als Commerzbank stehen wir für digitales Banking und persönliche Beratung.
Einen wesentlichen Anteil an der Definition – Was ist relevant? – haben unsere Kunden. Das was nachgefragt wird, dass was unsere Kunden brauchen und Ihnen hilft, ist relevant.
Wir waren sehr stolz, auf die erfolgreiche Digitalisierung des Prozesses zur Beantragung einer Mietbürgschaft. Hätten wir unsere Kunden vorher gefragt, hätten wir gewusst, dass die Digitalisierung dieses Prozesses für unsere Kunden keine große Relevanz hat.
Nah am Kunden ist unser Ziel und ein weiterer Erfolgsfaktor. Aus diesem Grund haben wir im Campus ein User Experience Studio eingerichtet. Hier vertesten wir unsere Neuentwicklungen und Prototypen in einem sehr frühen Stadium mit echten Kunden der Bank. Für uns ein guter Prüfstein. So können wir frühzeitig nachjustieren und sicherstellen, dass wir nicht am tatsächlichen Bedarf unserer Kunden vorbei arbeiten.
Der Bank Blog: Welche signifikanten Effizienzgewinne konnten bislang realisiert werden?
Jörg Hessenmüller: Wir haben gezielt mit der Digitalisierung von denjenigen Prozessen begonnen, die viele Mitarbeiter binden. Nehmen wir das Thema Konto. Hinter den Kulissen waren früher zahlreiche Kollegen mit dem Onboarding unserer Neukunden befasst. Bis ein Kunde sein Konto hatte, die EC- und Kreditkarte samt Pin-Nummern, oder den Dispositionskredit, waren früher zahlreiche manuelle Arbeitsschritte nötig. Das hat Tage gedauert. Und bei Firmenkunden ist der Prozess ja noch viel komplizierter, denken Sie nur an die Stichworte Dokumentationspflichten und Know your Customer.
Doch die Vereinfachung der Prozesse zeigt deutlich Wirkung: Inzwischen können bei uns sowohl Privatkunden als auch Firmenkunden in wenigen Minuten ein Konto online eröffnen. Und auch die Eröffnung in der Filiale wird davon profitieren. Das ist für die Kunden wie auch für uns sehr komfortabel und effizient – und es bleibt mehr Zeit für die eigentliche Beratung.
2018 kommt noch unser digitaler Firmenkundenkredit dazu: Kunden können dann Kreditlinien bis fünf Millionen Euro ganz einfach online beantragen, eine schnelle Entscheidung erhalten und den Kreditvertrag nach Zusage sofort herunterladen. Praktisch für den Kunden und für uns – und das geht nur mit schlanken, digitalen Prozessen hinter den Kulissen.
„Die Nutzung der Cloud stellt für Kreditinstitute eine hohe Herausforderung dar“
Der Bank Blog: Konkret sollte u.a. bis Ende 2017 ein einheitliches, cloudbasiertes Customer-Relationship-Management-System für Privat-, Unternehmer- und Firmenkunden eingeführt werden. Wie ist hier der Stand der Dinge?
Jörg Hessenmüller: Wir arbeiten mit führenden Public-Cloud-Dienstleistern zusammen und stehen ebenso im engen Austausch mit den Aufsichtsbehörden. Denn die Nutzung der Cloud stellt für Kreditinstitute eine hohe Herausforderung dar und unterliegt sehr strengen Regularien; gleichzeitig ist die Cloud-Nutzung wichtig im Rahmen der Digitalen Transformation. Falls wir zusammen mit den Regulatoren keinen Weg für eine effiziente Nutzung der Cloud fänden – wovon ich nicht ausgehe -, würde dies einen signifikanten Wettbewerbsnachteil gegenüber schwächer regulierten Playern darstellen. Als Pilotprojekt mit Public-Cloud-Lösung gibt es aktuell die Anwendung „Cash Radar“ im Unternehmerkundensegment. Und wir arbeiten an weiteren Use Cases.
Der Bank Blog: Soweit ich es verstanden habe, setzt die Commerzbank 4.0 auf den vorhandenen Basis-IT-Systemen auf. Warum machen Sie es nicht, wie Ihre Tochter mBank und werfen Altlasten konsequent über Bord und bauen die IT von Grund neu auf?
Jörg Hessenmüller: Zunächst einmal ist die Commerzbank von ihrer Größe und Komplexität nicht mit der mBank zu vergleichen. Der wichtigere Punkt ist aber: Wir haben ja funktionierende und auf Datenschutz ausgelegte Systeme, die wir regelmäßig aktualisieren und weiterentwickeln. Und die Zeit und Ressourcen, welche wir investieren müssten um „auf dem grünen Gras“ neu zu beginnen setzen wir lieber dafür ein schnell Mehrwert am Kunden zu schaffen.
Was wir machen ist, dass wir unsere IT noch näher an die Produktentwicklung bringen. Digitalisierung ist für uns dabei aber kein Selbstzweck. Wir wollen unseren Kunden das Leben leichter machen – mit einfachem, schnellem und guten Banking. Und das gelingt uns auch.
Schauen Sie mal in die gängigen App-Stores. Ob Baufi-App, Photo-TAN oder Mobile Banking – unsere digitalen Angebote sind State of the Art. Das zeigen auch die positiven Bewertungen unserer Kunden. Gleichzeitig müssen wir selbstredend weiterhin in unsere IT-Basis und Kernbankensysteme investieren, damit wir auch hier zukunftsfähig bleiben und wie gesagt in Technologien wie Cloud, Microservices etc. präsent sein.
„Blockchain-Technologie kann Banken enorme Effizienzsteigerungen ermöglichen“
Der Bank Blog: Welche Rolle spielen neue Technologien, wie Blockchain, Internet der Dinge oder Künstliche Intelligenz im Rahmen Ihrer IT-Strategie?
Jörg Hessenmüller: Neue Technologien spielen eine zentrale Rolle. Wenn wir dauerhaft für unsere Kunden relevant bleiben wollen, müssen wir die technologischen Trends frühzeitig erkennen und neue Technologien für uns und unsere Kunden nutzbar machen. Daran arbeiten wir intensiv. Wir schaffen dabei nicht nur Schnittstellen, um neue Technologien auf unsere Plattform zu holen. Ich bin fest überzeugt, dass es mehr braucht. Banken müssen heute wie Industrieunternehmen systematisch Forschung und Entwicklung betreiben.
Bei der Commerzbank forschen wir in unserem Main Incubator – und hier erproben wir auch die Anwendungen für unser Bankgeschäft. Der Main Incubator scoutet die Gründerszene und investiert gezielt in innovative Startup-Unternehmen. Seit 2013 haben wir auf diese Weise 760 Unternehmen gesehen und in 12 davon investiert.
Auch mit anderen Initiativen sind wir nah an der Tech-Szene, etwa mit unserer Plattform Open Space, unserer Beteiligungsgesellschaft in Venture Capital Commerz Ventures oder der Comdirect Start-up Garage.
Der Bank Blog: Welche Projekte und Realisierungen gibt es bereits im Bereich neue Technologien?
Jörg Hessenmüller: Zum Beispiel haben wir in Frankfurt und London ein Blockchain-Labor aufgebaut, unser sogenanntes DLT-Lab. Dort schauen sich die Kollegen gemeinsam mit Partnern aus Wissenschaft und Industrie die verschiedensten Anwendungsfälle an. Unter anderem haben wir gemeinsam mit Kunden auf einer neuen Plattform ein Wertpapier emittiert und verkauft – ohne Einbeziehen einer Zahlstelle und eines Clearingsystems. Diese Pilottransaktion haben wir in Echtzeit durchgeführt und auf Basis der Blockchain-Technologie abgebildet. Diese neue Plattform wollen wir in den nächsten Jahren zur Marktreife bringen.
Auch haben wir bereits Trade Finance und FX Transaktionen in der Blockchain abgewickelt. Die Blockchain-Technologie hat das Potenzial, Banken enorme Effizienzsteigerungen zu ermöglichen.
Ein anderes Praxisbeispiel heißt Big Data und Advanced Analytics. Die Verarbeitung und Analyse großer Datenmengen wird für Banken zunehmend zum entscheidenden Erfolgsfaktor – von der passgenauen Kundenansprache bis zu systematischen Vermeidung von Risiken. Dank unserer Datenspezialisten schützen wir mithilfe von Advanced Analytics unsere Kunden schon heute vor Betrugsversuchen und haben bereits Schäden in Millionenhöhe abgewendet.
„Der Kulturwandel zu einem Digitalen Technologieunternehmen ist ein kontinuierlicher Prozess“
Der Bank Blog: Welches sind die wesentlichen Learnings, die Sie bislang auf dem Weg zur Commerzbank 4.0 sammeln konnten?
Jörg Hessenmüller: Als wir 2016 unsere Ziele formuliert haben, schwang da schon die Frage mit, können wir das und schaffen wir das? Kann eine Großbank in Teilen wie ein Startup agieren, Dinge neu denken, neue Wege gehen, Tempo aufnehmen, Kultur verändern. Heute sage ich, ja, wir können das!
Die Commerzbank hat die Kraft und den Mut sich und das Banking nachhaltig zu verändern. Ist das immer einfach? Nein. Neue Arbeitsweisen, neues Denken, gemeinsam aus Fehlern lernen, das alles erfordert auch eine Veränderung im eigenen Verhalten, im eigenen Mindset. Bei den Kolleginnen und Kollegen, bei mir und bei allen Kollegen im Management. Wenn ich die Organisation verändern will, muss ich auch mich selbst verändern.
Ein zweiter Punkt ist der konsequente Kundenfokus. Wir müssen bei der Digitalisierung alles auf unsere Kunden ausrichten. Das kann man nicht ernst genug nehmen. Alles was wir tun, muss am Ende unseren Kunden dienen. Wie es aussieht, machen wir da einiges richtig. Seit 2016 haben wir gut 600.000 zusätzliche Privatkunden und nahezu. 6.000 Firmenkunden, vorwiegend aus dem Deutschen Mittelstand zusätzlich für die Commerzbank gewonnen.
Der Bank Blog: Welche wichtigen Herausforderungen stehen in den kommenden zwei Jahren noch an?
Jörg Hessenmüller: Der Kulturwandel hin zu einem Digitalen Technologieunternehmen ist nicht mit einem Enddatum versehen, sondern ein kontinuierlicher Prozess, der viel Energie und Fokus seitens des Managements erfordert. Dies ist und bleibt eine große Herausforderung.
Wir arbeiten weiter konzentriert an unseren Zielen. Ende dieses Jahres werden rund zwei Drittel unserer relevanten Prozesse digital ablaufen. Wir sind hier gut unterwegs, aber wir dürfen natürlich nicht nachlassen. Deshalb bauen wir unseren Digital Campus weiter aus und haben dafür einen neuen Konzernbereich Digital Transformation gegründet. Hier bündelt die Bank alle Funktionen, die zur Steuerung der digitalen Transformation aber auch zur Gestaltung des Kulturwandels nötig sind. So schaffen wir es noch besser, IT- und Produktexperten näher zusammen und so im Sinne unserer Kunden Produkte noch schneller an den Markt zu bringen.
Last but not least werden wir uns natürlich weiter darauf konzentrieren zu wachsen und die Erträge zu steigern. Digitalisierung ist ja nur ein Bestandteil von Commerzbank 4.0. Sie hilft unser Banking einfacher, schneller und besser zu machen – um noch mehr Kunden von der Commerzbank zu überzeugen.
Der Bank Blog: Vielen Dank für das Gespräch.