Im heutigen Gastbeitrag und letztem Teil der Serie über Social Media Krisen erhalten Sie einen Insiderblick auf einen der größten Shitstorms des Jahres 2012 im Bankbereich.
Hintergrund
Mit die größte Angst gegenüber einem Einsatz sozialer Medien gerade im Bankbereich ist der vermeintliche Kontrollverlust über die diskutierten Themen. Dabei graust es vielen insbesondere vor einem Shitstorm als ultimativem Krisenszenario. In den bisher erschienenen vier Teilen der Serie über Social Media Krisen habe ich Ihnen erläutert, was ein Shitstorm ist, habe einige Beispiele genannt, habe darüber berichtet, mit welchen Mitteln und Tricks man ihn auslösen kann und was im Falle des Falles zu tun ist, bzw. was man bereits im Vorfeld tun kann, um eine Krise zu verhindern.
Heute nun geht es im Abschluss der Serie um den wohl prominentesten Shitstorm Alarm im Bankerbereich der letzten Jahre, den Wurst-Alarm bei der ING-DiBa. Sie gezeigt, wie man eine Krise sogar als Chance nutzen kann.
Der Werbespot
Alles begann mit der Veröffentlichung unseres Werbespots „Metzgerei“ für das Extrakonto der ING-DiBa im Dezember 2011. In dem TV-Spot befindet sich Dirk Nowitzki in einer Situation, die sicherlich jeder aus der eigenen Kindheit kennt, als er von der Metzgerin beim Einkauf eine extra Scheibe Wurst geschenkt bekommt. Die Scheibe Wurst dient hierbei als Bild für die Extra-Leistungen, die Kunden der ING-DiBa erhalten. („Wenn Du einfach mehr bekommst, dann ist es DiBaDu“.)
Doch schauen Sie selbst:
Ein Shitstorm zieht herauf
Nachdem der Werbespot zwei Wochen im TV ausgestrahlt wurde und auch in einer längeren Fassung auf Facebook und YouTube zu sehen war, mussten wir feststellen, dass leider nicht jeder die Botschaft unseres Werbespots verstanden hatte.
Am Nachmittag des 2. Januar 2012 begann eine kleine Gruppe von Veganern erstmals damit, auf unserer Facebookseite ihren Unmut über den neuen Werbespot zu äußern. Die Hauptkritikpunkte waren mangelnde Rücksichtnahme auf Minderheiten (Veganer und Vegetarier) sowie der Vorwurf, die ING-DiBa suggeriere, Fleischkonsum sei die Voraussetzung um „groß und stark“ zu werden. Einige Veganer sahen in der Darstellung des wurstessenden Dirk Nowitzki sogar eine versteckte Werbung für Fleischkonsum und warfen der ING-DiBa vor, sie unterstütze indirekt auch die Massentierhaltung. Die zunächst kleine Gruppe von Veganern motivierte bald Gleichgesinnte, ebenfalls auf der Facebookseite aktiv zu werden und gegen den Werbespot vorzugehen. Die Zielsetzung war schnell klar, der Werbespot sollte abgesetzt werden.
Der „Wurstkrieg“
Bereits gegen Ende des zweiten Tages (3. Januar 2012) entwickelte sich der Shitstorm zu dem Szenario, das später sowohl intern als auch in den Medien als „Wurstkrieg“ bekannt werden sollte.
Innerhalb kürzester Zeit fanden sich unterschiedlichste Interessensgruppen auf der Facebookseite ein, um sich dort über das Thema Ernährung und Fleischkonsum auszutauschen. Das Hauptthema war plötzlich nicht mehr länger der Inhalt des Werbespots, sondern die Frage nach der einzig „richtigen“ Lebensweise und ob Menschen Fleisch essen dürfen oder nicht. Im Zuge dieser Diskussionen kam es zu einer erbitterten Auseinandersetzung zwischen den einzelnen Gruppen, die darin gipfelte, dass auch Veganer und Vegetarier untereinander in Konflikte gerieten. Die ING-DiBa selbst, war zu Beginn des dritten Tages kaum noch Gegenstand der Diskussion. Einer der Diskussionsteilnehmer, schrieb sogar ganz offen, dass er den Werbespot gar nicht kennt und es bei der Diskussion ja auch gar nicht darum gehen würde.
Eine besonders wichtige Entwicklung für die ING-DiBa war der plötzliche Zustrom zahlreicher Unterstützer. Tatsächlich gab es viele Kunden und Fans, die Partei für ihre Bank ergriffen. Rückblickend betrachtet, hatte dies einen großen Einfluss auf die allgemeine Wahrnehmung des Shitstorms. Besucher der Facebookseite waren nämlich plötzlich nicht mehr nur mit Diskussionen und Negativbeiträgen konfrontiert, sondern lasen auch immer wieder Kommentare von überzeugten Kunden, die öffentlich Ihre Bank verteidigten. Dies hat nach unserer Einschätzung auch die Berichterstattung in den traditionellen Medien positiv beeinflusst. Ausgelöst durch diese Berichterstattung, kam es außerdem zu einem enormen Anstieg der Kommentare und vielen neuen Besuchern auf unserer Seite. So konnten wir beobachten, dass immer mehr „Schaulustige“ unsere Facebook-Seite mit dem Ziel besuchten, sich an den Diskussionen zu belustigen oder die Seite sogar als „Entertainment-Tipp“ an ihre Freunde weiterleiteten.
Reaktion der ING-DiBa
Intern gab es gleich am Morgen des zweiten Tages ein Meeting unseres Social Media Teams, das aus Mitarbeitern der Bereiche Internet-Marketing, Unternehmenskommunikation und Kundendialog besteht und die Aufgabe hatte, das Vorgehen im „Krisenfall“ zu koordinieren. Unser erster Schritt lag zunächst darin, die Motivationslage und Ziele der Beschwerdeführer zu analysieren. Hiervon wurde dann sehr schnell die Entscheidung abgeleitet, sämtliche Kritik in vollem Umfang zuzulassen und keine der eingehenden Kommentare zu zensieren. Den Verantwortlichen war es wichtig auch in der Krise die zentralen Markenwerte der ING-DiBa (Offenheit, Transparenz und Fairness) zu leben. Ganz bewusst haben wir auch davon abgesehen, als ING-DiBa selbst in die Diskussion einzusteigen, da dies den Vorfall nur künstlich intensiviert und verlängert hätte. Ein vernünftiger Dialog war unserer Einschätzung nach schon aufgrund der radikalen Ziele der Kritiker nicht möglich. Die Entscheidung, nicht aktiv in die Diskussion einzusteigen, wurde auch dadurch bestärkt, dass sich die ING-DiBa in ihrem eigentlichen Kerngeschäft nichts hatte zu Schulden kommen lassen und ausschließlich der Inhalt des Werbespots Auslöser für die Diskussion war.
Am 5. Januar 2012 meldete sich die ING-DiBa dann erstmals zu Wort, rief zu gegenseitigem Respekt auf und betonte, dass man der Diskussion auch weiterhin den notwendigen Raum einräumen werde.
Nachdem die Diskussion insgesamt zwei Wochen andauerte und die Qualität der Beiträge kontinuierlich abnahm und auch die Medien ausführlich über den Vorfall berichtet hatten, trafen wir intern die Entscheidung, neue Diskussionen und Pinnwandeinträge zu diesem Thema zu unterbinden. Das Kommentieren bereits bestehender Einträge war allerdings weiterhin gestattet. Als wir diese Entscheidung am 17. Januar 2012 kommunizierten, reagierte die Community sehr positiv. Viele Menschen, darunter Unterstützer wie auch Kritiker, dankten der Bank für die Zurverfügungstellung der Plattform und den transparenten Umgang mit dem komplexen Thema. Tatsächlich ist es im Rahmen der bestehenden Threads, auf der Facebookseite der ING-DiBa, bis heute möglich sich über die Themen Ernährung und Fleischkonsum auszutauschen.
Auch intern wurde diskutiert
Der Wurstkrieg sorgte natürlich auch intern für große Aufmerksamkeit. Bis zu diesem Zeitpunkt war es völlig unvorstellbar, dass sich auf einer öffentlichen ING-DiBa Seite im Internet eine Diskussion fernab vom Thema Finanzen, geschweige denn zum Thema Fleischkonsum entwickeln könnte. Wir haben den Wurstkrieg damals als Chance genutzt, um das Bewusstsein für Social Media in der gesamten Bank zu stärken. So wurde beispielsweise bei einer Intranet-Meldung zum Wurstkrieg auch erstmals eine Kommentarfunktion für Mitarbeiter eingeführt. In gewisser Weise hat uns der Wurstkrieg dabei geholfen, das Thema Social Media stärker in der Bank zu platzieren.
Rückblick und Einschätzung der ING-DiBa
Die ING-DiBa bewertet diesen Vorfall nach wie vor als eine interessante Erfahrung.
Die Marke erlitt keinerlei Reputationsschäden, darüber hinaus war das Feedback von Fans, Kunden und der Presse extrem positiv. So bezeichnete der Spiegel unseren Umgang mit der Diskussion als ein „Paradebeispiel für das elegante Ausspielen eines Shitstorms“ und im Focus war sogar von einem „Idealfall“ die Rede.
Der Vorfall machte besonders deutlich, wie wertvoll gute Beziehungen zu den eigenen Kunden sind. Wer langfristig in diese Beziehungen investiert, kann in einer Krisensituation, wie in unserem Fall, auch mit deren Unterstützung rechnen.
Abschließend lässt sich der „Wurstkrieg“ in den folgenden Zahlen zusammenfassen:
Innerhalb von zwei Wochen wurden auf Facebook über 15.000 Kommentare veröffentlicht und der Werbespot auf YouTube ca. 90.000-mal angeklickt. Besonders interessant: 20% der Diskussionsteilnehmer waren für ca. 70% der Beiträge verantwortlich. Der Shitstorm selbst war also eher nur eine „kleine Brise“ und hat erst durch die Berichterstattung der traditionellen Medien Reichweite bekommen.
Praxistipps
Es gibt unterschiedlichste Gründe, warum Unternehmen in einen Shitstorm geraten.
Die folgenden Tipps können Ihnen dabei helfen, in einer Krisensituation die richtigen Entscheidungen zu treffen:
Kritik ernst nehmen
Das Unternehmen muss zeigen, dass es sich mit der Kritik auseinandersetzt und diese ernst nimmt.
Keine Panik! – Ruhig bleiben und nicht unüberlegt handeln
Vor einer eigenen Reaktion sollten Beweggründe und Motivationslage der Kritiker analysiert werden. Aus diesen Erkenntnissen muss dann eine individuelle Strategie ableitet werden.
Menschlich agieren, nicht unternehmerisch
Versetzten Sie sich in die Lage der Kritiker, auch wenn es schwer fällt.
Verlassen Sie sich auf Ihren gesunden Menschenverstand und internes Know How
Betrachten Sie die Situation objektiv, nicht emotional. Unterschiedliche Sichtweisen verschiedener Kollegen können Sie einer Lösung näher bringen.
Seien Sie selbstkritisch, aber auch selbstbewusst
Hat das Unternehmen fragwürdig gehandelt oder einen Fehler begangen, ist eine offene Entschuldigung, Aufklärung und Dialogbereitschaft angebracht.
Handelt es sich um unbegründete Kritik, sollte ein Unternehmen aber auch selbstbewusst sein und sich nicht einschüchtern, bzw. erpressen lassen.
Eine persönliche Meinung zum Fleischkonsum
Ich persönlich esse gerne Fleisch, finde aber den Einsatz der Kritiker und besonders Ihr Engagement für Tiere bewundernswert. Viele der diskutierten Punkte in Bezug auf Mängel bei der Fleischproduktion oder aber miserable Zustände in Schlachtbetrieben sollten durchaus diskutiert werden und auch in der breiten Bevölkerung mehr Beachtung finden.
Leider war in unserem konkreten Fall die Plattform ungeschickt gewählt, denn anstatt Bewusstsein für das Thema zu schaffen haben die „Kritiker“ durch ihre unbedachte Wahl Ihrem eigenen Image und besonders ihrer Glaubwürdigkeit geschadet. Für die Mehrheit der Menschen war ein Zusammenhang zwischen der ING-DiBa und der Fleischindustrie einfach zu keinem Zeitpunkt ersichtlich und auch der Sinn der Aktion nicht verständlich.
Grundsätzlich sollte jeder für sich selbst entscheiden, ob er Fleisch essen oder aber darauf verzichten möchte. Einen kleinen Anstoß, etwas mehr über die Produkte nachzudenken, die wir alltäglich essen, finde ich aber richtig und gut.