Seit Beginn der Corona-Krise sind viele Betriebe in Schieflage geraten. Dennoch gehen nur wenige in die Insolvenz. Aber es gibt sie, die Untoten oder Zombie-Unternehmen. Eine Zombie-Scorecard könnte dazu beitragen, gesunde Unternehmen nicht anzustecken.
Seit Beginn der Corona Krise ist die Zahl der Unternehmen, die wegen Zahlungsunfähigkeit Insolvenz anmelden müssen, drastisch gesunken. Was zunächst vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie paradox erscheinen mag, lässt sich auf eine Änderung des Insolvenzrechts aus dem Frühjahr zurückführen. Unternehmen sollten in der Corona-Krise vor einer Insolvenz geschützt werden.
So wurde die Änderung rückwirkend zum 1. März geltend. Zwar lief diese Regelung Ende September 2020 teilweise wieder aus, für Unternehmen, die infolge der Pandemie überschuldet sind, ohne bereits zahlungsunfähig zu sein, wurde sie jedoch bis Jahresende verlängert. Zum Jahresbeginn fällt diese Ausnahmeregelung – und angesichts der erwarteten Pleitewelle könnte auch das ein oder andere gesunde Unternehmen von Zombie-Unternehmen mit in den Abgrund gerissen werden.
Der Fluch der günstigen Liquidität
Im Zuge der Flut an günstiger Liquidität warnen Wirtschaftsexperten schon seit Jahren vor der sogenannten Zombiefizierungsgefahr. Ausgehend von der anhaltenden Niedrigzinspolitik der Zentralbanken ist es für Unternehmen deutlich einfacher – und vor allem günstiger geworden, Bankkredite in Anspruch zu nehmen. Was bei vielen börsennotierten Großkonzernen zu einem anhaltenden Financial Engineering geführt hat, führte insbesondere im Mittelstand dazu, dass operative Engpässe, Probleme und Versäumnisse zu lange mit günstiger Liquidität überdeckt werden konnten.
Diese Gefahr in den Bilanzen hat sich über Jahre zu einer stetig wachsenden Welle aufgebaut, die – sobald sie den Scheitelpunkt überschritten hat – massive Kollateralschäden anrichten könnte. Hinzu gesellt sich die Tatsache, dass viele Banken genau diesen Unternehmen keine Kredite mehr gewähren werden – trotz Corona. Diese Unternehmen sind dann zunehmend gezwungen, sich ihre Finanzierung woanders zu suchen – etwa bei Lieferanten und Dienstleistern, indem sie ihre Rechnungen nicht bezahlen. Und genau diese versteckten Kredite sind das Bedrohliche in der derzeitigen Phase.
Zombiefizierung von Unternehmen als Gefahr
Zunächst stellt sich die Frage, was sich hinter der Begrifflichkeit „Zombies“ überhaupt verbirgt. Wer sind diese Untoten, die unsere Wirtschaft zu schädigen drohen? Zombieunternehmen definieren sich durch den Marktwert von Unternehmen im Verhältnis zum bilanzierten Buchwert: Ist das Verhältnis kleiner als der Median der Branche, ist die Definition eines Zombieunternehmens erfüllt. Die Zombiefizierung von Unternehmen ist gesamtwirtschaftlich eine echte Gefahr mit Lawinenpotential: Gerade in der jetzigen Phase werden sie zwar künstlich am Leben gehalten, jedoch nicht nachhaltig saniert.
So werden Coronahilfen auch an Zombies ausgezahlt – durch diese Verschleierung wird dann, unter dem Deckmantel der Hilfsgelder, noch weiterer Aufschub bis zur endgültigen Zahlungsunfähigkeit gewährt. Folglich wird auf lange Sicht lediglich ein temporärer Vorteil geschaffen. Diese Aufschübe verzögern die Welle der Insolvenzen, Rückzahlungen verschieben sich und die unausweichliche Insolvenzwelle könnte schließlich höher ausfallen.
Zombies reißen im Ernstfall andere, gesunde Unternehmen mit: So fehlt dem einen Unternehmen der Lieferant, während dem anderen der Kunde fehlt, was dazu führt, dass ganze Industrien in Schieflage geraten könnten. Je nach Industrie und Volumen ist die gegenseitige Abhängigkeit immens – zudem ist es oft kaum möglich, kurzfristig Lieferketten grundlegend umzustellen und somit in Krisenzeiten handlungsfähig zu bleiben.
Sollte es soweit kommen, bleibt auch die volkswirtschaftliche Gesamtleistung davon nicht unbetroffen. Je mehr Unternehmen Zombies mit sich in die Tiefe reißen, desto negativer wirkt es sich auf Gesamtwirtschaftsleitung in Deutschland aus. Und damit trifft es anschließend auch den Staat selbst. Schließlich wurden zuletzt viele schnelle Kredite gewährt, die über staatliche Förderbanken abgesichert wurden. Sollten die ausfallen, geht das auch zu Lasten des Staates. Auch die Kreditversicherer spielen hier eine Rolle. Sie haben bislang der heimischen Wirtschaft noch den Rücken gestärkt. Wird der Schutzschirm aufgehoben, fallen die Limite und die Unternehmen tragen die Risiken selbst. Ein Krisenszenario, welches den Staat wie auch die europäischen Banken derzeit aufschreckt! Für den Wirtschaftsstandort Deutschland – massiv abhängig von Exporten – ist es zudem dringend erforderlich die Situation im Ausland mit im Auge zu behalten. Gerade in Südeuropa wird seit Jahren vor einer zunehmend kritischen Lage gewarnt.
Situation erfordert verbesserte Due Diligence
Die fragile gesamtwirtschaftliche Situation erfordert derzeit von jedem einzelnen Unternehmen eine besondere Sorgfalt beim Monitoring ihrer Kunden- und Lieferantenbeziehungen – Fahren auf Sicht heißt derzeit das Motto. Unternehmen müssen jetzt ihre Kunden- und Lieferantenbeziehungen auf den Prüfstand stellen und eigenverantwortlich mögliche Probleme antizipieren und entsprechende Maßnahmen einleiten.
Der essentielle Grundstein für die Kontrolle der Kunden- und Lieferantenbeziehungen ist heute eine moderne Kreditmanagementlösung – die jederzeit den Überblick über das aktuelle Risiko im Kundenportfolio aufzeigt. Moderne Lösungen mit integrierten Schnittstellen zu Wirtschaftsauskunfteien und Kreditversicherern, die zudem als Informationsplattform die wichtigen Kennzahlen der Partnerunternehmen bereitstellen. So lässt sich ein Überblick in puncto wirtschaftlicher Gesundheit erlangen.
Gerade Auskunfteien und Kreditversicherungen, die aufgrund der enormen Datenmengen – und durch Einsatz von KI mögliche Trends schon heute berücksichtigen, können hier bei der Bewertung der Portfolien wertvollen Input liefern. Ganz wichtig dabei: Angesichts der Dramatik der derzeitigen wirtschaftlichen Situation ist dies wirtschaftliche Notwendigkeit und nicht fehlendes Vertrauen. Motto: Vertrauen ist gut, digitale Kontrolle ist besser.
Individuelle Kennzahlen im Fokus
Darüber hinaus ist es geboten, eigene Scorecards mit auf den Geschäftspartner zugeschnittenen Kennzahlen zu entwickeln. In den Fokus gehört hierbei insbesondere die Auswertung unternehmenseigener Daten – etwa bzgl. des Zahlungsverhaltens von Kunden. Kundenanfragen nach permanent längeren Zahlungszielen, möglichen Stundungen oder Bitten um Ratenzahlungspläne, etc. lassen im Bestandskundenportfolio steigende Risiken frühzeitig erkennen – insbesondere, wenn sie digital getrackt und automatisch ausgewertet werden. Dabei gilt: Je länger und besser ein Unternehmen seine Kunden kennt und monitort, desto eher kann es Risiken einschätzen. Wichtig derzeit ist zudem die stetige Prüfung und Justierung der Scorekriterien. Fatal wäre es die vorliegenden Werte nach veralteten Schemata zu prüfen.
Die Auswertung von Zahlungsverhalten für jeden einzelnen Kunden ermöglicht es, einen Zahlungserfahrungsscore zu ermitteln. Es gilt, den Trend in der Zahlungshistorie eines Kunden aufzuzeigen, um Veränderungen festzustellen. Erkennbare Probleme und Risiken können infolgedessen zu einer Anpassung im operativen Geschäft führen.
Proaktiv und fallbezogen an Lösungen arbeiten
Werden dann dem Credit Manager / Analysten stets die Kunden mit Trendänderungen angezeigt, kann proaktiv und fallbezogen mit Kunden und Vertrieb an einer Lösung für einen drohenden Verzug oder gar Ausfall der Zahlung gearbeitet werden. In großen Portfolien können somit auch Kundenkategorien gesteuert werden, indem man z.B. Mahnprozesse für Branchen in riskanteren Geschäftsbereichen verschärft oder zur Absicherung von Limitvergaben zusätzliche Sicherheiten einfordert oder die Zahlungsbedingungen deckelt.
Neben der genauen Analyse vorhandener quantitativer Daten ist es ebenfalls sinnvoll, ein „Mediascrolling“ zu Unternehmen wie auch Branchen durchzuführen, um weitere Hintergrundinformationen zu sammeln. Gemeint ist damit eine digitale Recherche, um an weitere Informationen zu gelangen, welche Rückschlüsse zum ökonomischen Zustand der Partner zulassen. So lassen sich hier Informationen wie etwa die Nutzung von Kurzarbeit als weitere Variablen für die Scorecard ermitteln. Auch branchenspezifische Probleme, wie sie gerade in Pandemie-Zeiten z.B. beim stationären Einzelhandel oder im Bereich der Unterhaltungsindustrie offenbar wurden, sollten in die Risikobewertung eingepflegt werden. Auch hier gilt: ein sich permanent veränderndes wirtschaftliches Umfeld erfordert auch eine permanente Anpassung der Kontrollmechanismen.
Gerade in Krisenzeiten ist zudem geboten, dass das Kreditmanagement nicht als eigenständige Abteilung betrachtet wird. Vielmehr ist es sinnvoll, dass unternehmensübergreifend Informationen zentral bei den Experten für das Forderungsmanagement zusammenlaufen. Die Vertriebler, welche besonders nah mit Kunden zusammenarbeiten und besonders mit den Herausforderungen verschiedener Branchen vertraut sind, können so zu einem wichtigen Zulieferer für relevante Informationen werden.
Holistische Risikobetrachtung erhöht Resilienz in Krisenzeiten
Die ökonomischen Risiken durch sogenannte Zombies können in den kommenden Monaten zu Verwerfungen führen. Es ist für Mittelständler nicht einfach, die gefährdeten Unternehmen bzw. Stakeholder auszumachen, da die lockere Geldpolitik sowie laxe Insolvenzregeln viele Probleme nicht auf Anhieb sichtbar machen. Es ist daher geboten, mithilfe von Kreditmanagementlösungen und eigenen Scorecards Probleme frühzeitig zu erkennen, um Möglichkeiten zur Diversifizierung zu ergreifen. Dabei darf das Kreditmanagement nicht als losgelöste Einheit agieren, sondern muss von der gesamten Organisation unterstützt und mit Informationen versorgt werden. Nur so lassen sich Risiken bestmöglich steuern.