Ist der Rückzug aus der Fläche wirklich im Sinne unserer Kunden? Oder sind sie ins digitale Banking abgewandert, weil wir ihnen keine andere Wahl gelassen haben? Über missachtete Kundenwünsche und Kundenzufriedenheit durch persönlichen Service.
Filialsterben – die Medien berichten fast im Wochentakt von weiteren Schließungen. Laut aktueller Bundesbank-Statistiken sank die Zahl der Zweigstellen im vergangenen Jahr erstmals unter die 20.000-er Marke. Damit hat sich das Filialnetz in Deutschland binnen zehn Jahren fast halbiert. 2013 zählte die Bankenbranche noch knapp 36.000 Stellen. Ein klarer Trend. Was die Statistik allerdings nicht hergibt: Der Rückzug aus dem Präsenz-Geschäft ist ein strategischer Fehler.
Vergleichsportale, Mobile Banking, Neo-Banken und FinTechs – unsere Welt ist sehr viel digitaler geworden. Apps und Online-Banking gehören schlicht in jedes Angebots-Portfolio. Mehr als 80 Prozent der Deutschen erledigt zumindest auch seine Bankgeschäfte „to go“ – also mobil, unterwegs oder von zu Hause.
Verstehen wir unsere Kunden?
Das Henne-Ei-Prinzip. Sind unsere Kunden freiwillig ins digitale Banking abgewandert? Oder zwingen wir sie dazu? Denn wenn wir Filialbanken unsere Stellen schließen, bleibt dem Kunden keine Wahl. Er muss online gehen und wir verpassen eine Riesenchance. Persönliche Nähe, vertraute Gesichter, das „man-kennt-sich-gut“, waren Jahrzehnte lang klare Assets der Filialen. Einen Menschen „Angesicht-zu Angesicht“ zu treffen, um ein Anliegen zu besprechen, ist es in jedem Fall immer noch. Online-Banking „only“ lässt das nicht zu.
Hören wir unserem Kunden eigentlich noch zu? Verstehen wir, was er will? Kennen wir seinen Bedarf, seine Wünsche, seine Sorgen, seine Pläne?
Persönlicher Service und individuelle Beratung bleiben gefragt
Kundenbefragungen geben uns eigentlich einen klaren Auftrag: Persönlicher Service und individuelle Beratung sind unverändert gefragt. Das „wie“ hat sich verändert. Flexibel und wettbewerbsfähig. Persönlich, vertraut und nah.
Und wir? Wir haben die Kundenperspektive verloren und folgen geradezu apodiktisch dem, was betriebswirtschaftlich gewinnmaximierend für uns gut und richtig ist. Und vergessen zudem, dass es noch lange keine ausgemachte Sache ist, dass der Kunde unserem Dekret – jetzt bitteschön alles online abzuwickeln – das auch bei uns tut, oder nicht doch lieber gleich zu den hippen Ein-Kanal-Online-Banken geht.
Beispiele anderer Industrien, wohin das führt, gibt es zu Genüge. Der Kunden-Wunsch nach bezahlbarer E-Mobilität hat es offenbar nie in Chefetagen der deutschen Auto-Industrie geschafft. Die Folgen lesen wir in den Medien. Der Kunden-Wunsch nach einer modernen Erlebnis-Einkaufswelt wurde von Shoppingcentern realisiert. Das gute alte Kaufhaus in attraktiver Citylage jedenfalls machte da nicht mit. Die Folgen kennen wir.
Missachtete Kundenwünsche
Erinnern Sie sich? Wir machen den Weg frei, war vor ein paar Jahren der Slogan der genossenschaftlichen Finanzgruppe. Angesichts unseres rein der Kostenlogik folgenden Rückzugs aus der Fläche können wir das in fataler Weise neu interpretieren, indem wir unsere Kunden ohne Not zum vermeintlich attraktiveren Wettbewerber schicken. Wir geben unseren Home-Turf auf und begeben uns damit auch gleich in eine Konkurrenz, die wir nur schwer gewinnen können. Wir sind schlicht keine Online-Banken.
Filialen müssen an den Kundenbedarf angepasst werden
Ergo: Auf unser Filialnetz zu verzichten, war und ist für uns als Taunus Sparkasse keine Option.
Niemand behauptet, dass die in die Jahre gekommenen Präsenz-Stellen – verstaubt und abgenutzt, lieblos und damit für Kunden unattraktiv – nicht einer Runderneuerung bedürfen. Mehr noch. Es geht um ausdifferenzierte Kundenangebote für die unterschiedlichen Kundensegmente – vom Immobilien-Hub, über das Private-Banking bis hin zu modernen und an den Kundenbedarf angepassten Filialkonzepten. Angebote für die breite Kundschaft und das Service-Geschäft. Dort zu sein, wo uns der Kunde braucht. Das zu bieten, was er will.
Haben Bankfilialen eine Zukunft?
Ja, wenn man ihnen eine Zukunft gibt. Ja, wenn man die tradierten Pfade verlässt und die Filiale neu denkt. Ja, wenn man den Kunden ernst nimmt und ihm zuhört. Und die Standorte differenziert und intelligent am Kundenbedarf ausrichtet.
Beispiel 1: FinanzPunkte
In diesem Herbst feiern wir gemeinsam mit unseren Kollegen der Frankfurter Volksbank Rhein/Man fünf sehr erfolgreiche Jahre FinanzPunkt.
Die Analyse
In einigen Standorten war seinerzeit ein deutlicher Rückgang der Kundenfrequenz zu spüren. Gerade in ländlichen Lagen, in denen die Ortschaften zuletzt sukzessive ihre Infrastruktur verloren hatten, war, um es schlicht zu sagen, auch in den Filialen nicht mehr viel los. Mitarbeiter fühlten sich angesichts des Ambientes unwohl, die Arbeitsorganisation machte das Aufrechterhalten dieser Standorte zu einem Kosten- und Qualitätsthema. Das galt es zu lösen, aber niemand hat gesagt, dass wir das allein machen müssen.
Die Lösung
Taunus Sparkasse und Frankfurter Volksbank Rhein/Main erfanden die erste säulenübergreifende und flächendeckende Kooperation. Einem streng standardisierten Umbauplan folgend wurden innerhalb kürzester Zeit 26 Standorte modernisiert. An zwei Tagen der Woche ist dort die Blaue Welt für ihre Kunden da. An zwei weiteren Tagen wir als Taunus Sparkasse. Papierloses Arbeiten, keine festen Arbeitsplätze und der Einsatz modernster Technik reduzierten die Betriebskosten erheblich. Das Beratungskonzept begeisterte und begeistert bis heute die Kunden.
Die Bilanz
Es hat sich gelohnt, mehr als die Hälfte unserer Standorte in dieses Format zu überführen. Seit Start der Initiative erleben wir eine echte Renaissance an diesen Standorten. Die Kundenzufriedenheitswerte liegen deutlich über unseren Erwartungen. Als Taunus Sparkasse konnten wir über das Konzept der FinanzPunkte für immer verloren geglaubte Marktanteile zurückgewinnen.
Modernste Filialen
Die Analyse
Auch unsere Standorte in den Mittelzentren unseres Geschäftsgebietes waren in die Jahre gekommen. Mobiliar, Raumkonzept, Design und Technik entsprachen nicht mehr immer unserem eigenen Anspruch einer modernen Kundenwelt. Die Kundenfrequenz ist auch heute noch wenig planbar. Hinzu kommt, dass wir mit immer neuen Anforderungen der Kunden konfrontiert werden – bis hin zu einer Vielfalt von Sprachen, die unsere Kundschaft spricht. Das alles galt es zu lösen, aber niemand hat gesagt, dass wir das nicht mit Hilfe modernster Technik angehen dürfen.
Die Lösung
Wir haben die Filiale neu gedacht und unseren Gesichtern im Markt ein offenes, modernes und attraktives Design gegeben – inklusive modernster Technik bei Geldautomaten und Selbstbedienungs-Terminals. Damit haben wir eines geschafft: 95 Prozent unserer Standorte sind modernisiert, einladend und im wahrsten Sinne des Wortes barrierearm. In neun Minuten können 99 Prozent unserer Kunden in der Region einen unserer Geldautomaten erreichen. Aktuell haben wir wahrscheinlich das modernste Filialnetz Deutschlands.
Und im Zuge der durchgängigen Neugestaltung unserer Filialen ist die Idee der Dialog-Inseln in der Taunus Sparkasse entstanden. Kundenanforderungen haben sich verändert, gleichzeitig ist die Standortplanung komplex. Die Dialog-Insel ist unsere Antwort darauf und kombiniert die Vorteile des persönlichen Kontakts mit denen digitaler Lösungen. Sie kennen Raumschiff Enterprise? Und Captain Kirk, dessen Leitspruch war: „Scotti beam me up!“. Wenn man so will, beamen wir über unsere Dialog-Inseln unsere Mitarbeiter dorthin, wo der Kunde einen Wunsch hat, uns braucht.
Per Touch wird eine Videoverbindung zwischen dem Kunden in der Filiale und einem unserer zwölf Videoberater in unserem Kunden-Center in Bad Homburg hergestellt. Ausgestattet mit einer NFC-Schnittstelle und einem digital SignPad können dort Serviceanliegen rund um Online-Banking, Kartengeschäfte und mehr „Auge in Auge“ abgewickelt werden. Schon jetzt steht in fast jeder unserer Filialen eine Dialog-Insel.
Die Kundinnen und Kunden sprechen in unseren Dialog-Inseln mit Menschen. Sie sprechen KI-unterstützt per Video mit Agenten unseres Kunden-Centers. Immerhin können unsere Kunden ihre Anliegen in 25 verschiedenen Sprachen dieser Welt artikulieren. Und wir geben Antwort. Die herausragende Nutzung der Dialog-Inseln durch unsere Kunden – mit mehr als eintausend Usern im Monat – übertreffen schon heute selbst unsere hochgesteckten eigenen Erwartungen.
Die Bilanz
Die Kunden sind zufrieden. Wir haben zugehört und hingesehen. Um an dieser Stelle unseren Sparkassenpräsidenten Reuter zu zitieren, ist Kundenzufriedenheit die „harte Währung“ im modernen Bankgeschäft. Insofern freut es uns, dass die bei uns geborenen und bis zur Marktreife weiterentwickelten Dialog-Inseln aktuell vor dem bundesweiten Rollout in der Sparkassen-Finanzgruppe stehen.
Eine echte Multikanal-Strategie braucht attraktive Standorte
Technik definiert das Anspruchsniveau unserer Kunden und auch unserer Teams – alles muss sofort passieren, einfach und verständlich sein. Folgen wir aber einer Multikanalstrategie, dann ist und bleibt der entscheidende Punkt, dass der Kunde wirklich wählen kann, welchen Kanal er nutzt. Dann sind wir immer erreichbar, persönlich, telefonisch und digital.
Filialen mit einem klaren Leistungsversprechen können ein Kundenerlebnis bieten, um das uns die rein digitale Konkurrenz beneidet, das uns abhebt und wesentlich unterscheidet und das schlicht unser Wettbewerbsvorteil ist. Ob Lowtech oder Hightech: Immer steht der Mensch im Mittelpunkt. Darum sollten wir kämpfen.
Es geht um die Beziehung zum Kunden
In der Taunus Sparkasse setzen wir auf langjährige Kundenbeziehungen. Die Erfahrungen zeigen, dass Kunden, die erleben, dass wir ihre Serviceanliegen ernst nehmen, enger an uns gebunden sind. Dass diejenigen, die regelmäßig im Austausch mit ihrer persönlichen Beraterin oder ihrem Berater sind, länger bei uns bleiben und zufriedener sind als solche, die auf unsere Beratung verzichten.
Insofern sind alle Investitionen in Filialen, die Kunden auch nutzen, wichtige und richtige Investitionen in unsere Marke – und dabei dauerhafter als charmante Werbespots auf unterschiedlichsten Kanälen. Der Trend, mehr auf die Kosten als auf den Kunden zu achten ist risikobehaftet. Kundenzufriedenheit bedeutet eben auch, ihm – dem Kunden – das zu bieten, was er will und braucht. Ein intelligent gestaltetes Filialnetz modernen Maßstabs gehört unzweifelhaft dazu.
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Der Beitrag ist Teil einer Beitragsserie zum Thema „Zukunft der Bankfiliale – Bankfiliale der Zukunft“. Alle Beiträge sind in einem umfangreichen E-Book zusammengefasst. Abonnenten von Der Bank Blog Premium können das E-Book direkt herunterladen.
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Bislang sind folgende Beiträge in der Serie erschienen:
- It’s a match: Bankfiliale im digitalen Zeitalter - Better Banking bei der BBBank
- Weniger ist nicht immer mehr - Ein etwas anderer Blick auf das Filialnetz von Regionalbanken
- Der Spagat zwischen Verbundenheit und Fortschritt - Die Integration von Digitalisierung ohne Ankerverlust
- Die Bankfiliale muss sich neu erfinden -Unverzichtbarer Touchpoint im digitalen Zeitalter
- Hören wir unseren Kunden noch zu? - Warum der Rückzug aus dem Präsenz-Geschäft ein Fehler ist
- Klassische Beratung im modernen Raum - Auflösung der Grenzen von analoger und digitaler Welt
- Orte des Dialogs, der Vernetzung und der Problemlösung - Die Omnikanal-Strategie der Berliner Volksbank
- Kunden sind die neuen Architekte - Postbank und Deutsche Bank realisieren neue Filialformate
- Die Bankfiliale der Zukunft: Mehr Menschlichkeit im Banking - Digital vernetzt, persönlich beraten
- Die Bankfiliale als Treffpunkt für die Menschen aus der Nachbarschaft - Digitale Lösungen mit persönlicher Nähe
- Titel
- Die Filiale ist tot – es lebe die Filiale - Neue Rolle in der Omnichannel-Welt